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Montag, 5. Juni 2023
Welche historische Gestalt verbirgt sich hinter den Geschichten über den hl. Bonifatius?

Wer war der hl. Bonifatius?

Er gilt als Apostel der Deutschen – wirkte aber zu einem Zeitpunkt, lange bevor es „die Deutschen“ gab. Er genießt den Ruf eines wortgewaltigen Predigers – von dem kaum ein Wort authentisch überliefert ist. Seine Reliquien werden in Fulda verehrt – dem ist kaum zu widersprechen.

Liest man die Quellen aufmerksam, so zeigt sich der frühmittelalterliche Missionar vor allem als begabter Organisator und geschickter Kirchenpolitiker – eine Führungsfigur, die sich mit Feuereifer in die Aufgabe stürzte, das noch quasi pagane Europa zu Christus zu bekehren.  

Von einem christlichen Land zu den ausländischen Missionen

Dafür verließ Bonifatius seine Heimat – Großbritannien.

Er wurde vermutlich 673 oder 675 als Wynfreth mutmaßlich in Crediton geboren, im damaligen Königreich Wessex. Schon als Kind kam er in das Kloster Exeter. Mit etwa 30 Jahren wurde er zum Priester geweiht; im Kloster verfasste er unter anderem eine lateinische Grammatik.

Doch das Leben eines gelehrten Mönchs scheint Wynfreth nicht gereicht zu haben. Denn er brach in den 710er Jahren zur Mission auf den Kontinent auf.

Das war damals nicht ungewöhnlich. In der Zeit der angelsächsischen Missionsbewegung des 7. und 8. Jahrhunderts fuhren viele angelsächsische Mönche über den Ärmelkanal - zu den germanischen Völkern, die damals noch paganen Kulten folgten oder nur oberflächlich christianisiert worden waren. Die ausländischen Missionen war damals das Gebiet des heutigen Deutschlands.

Ein christlicher Kontinent?

Das westchristliche Europa, das waren damals das Frankenreich und seine Einflussgebiete, Großbritannien und Irland, Italien und das nördliche Spanien. Im Südwesten herrschte der Islam auf der iberischen Halbinsel, in Skandinavien nordgermanische Stammeskönige, im Osten pagane Germanen und Slawen.

Das alte römische Imperium war seit 300 Jahren untergegangen. Auf seinen Trümmern hatten sich vor-feudale Königreiche gebildet, die immer wieder geteilt wurden, sich neu zusammenschlossen und nur über schwache Strukturen verfügten. Gerade an den östlichen Rändern des dominierenden Frankenreiches, in Bayern, Hessen und Thüringen waren die Loyalitäten zu den fränkischen Herrschern fließend und häufig eher unklar.

Fließend und unklar war auch das Christentum. Mühsam hatte sich die alte römische Reichskirche über den Zusammenbruch des Imperiums gerettet und versuchte an die neuen Machtstrukturen anzudocken. Noch immer gab es verschiedene Christentümer, der Katholizismus der alten Reichskirche rang mit dem Arianismus der gotischen und langobardischen Stämme – die Franken hingegen hatten sich dem Glauben der Reichskirche angeschlossen.

Aber selbst dort, wo sich ein Christentum durchgesetzt hatte – was hieß das schon? Gute Christen, die regelmäßig zur Kirche gingen, in monogamen Ehen lebten, an Christus glaubten und den paganen Göttern und Geistern abgeschworen hatten – das war eine seltene Spezies. Viele gingen auf Nummer sicher: Sie ließen sich in der Kirche taufen und verehrten in heiligen Hainen die Götter der Vorfahren. Manche waren auch nur so lange Christen, wie die der örtliche Herrschaftsträger in Reichweite war oder stellten sich gerne mehrfach an, wenn der Missionar zur Taufe ein Hemd verschenkte.

In diesem Europa öffnete sich für Wynfreth ein weites Missionsfeld. Aber auch eines, in dem Erfolge schwierig und voraussetzungsreich waren.

Scheitern in Friesland

Das erfuhr der Missionar schon bei seiner ersten Missionsreise 716 nach Friesland. Hier scheiterte Wynfreth. Denn der Herrscher der Friesen, Radbod, war ein Gegner der christlichen Missionierung.

Zurück auf Großbritannien zog Bonifatius den Schluss, zukünftig Missionierung im Verbund mit den Mächtigen zu betreiben.

Daher reiste Wynfreth zunächst in die ewige Stadt. Hier residierte die spirituell wichtigste Macht des westchristlichen Europas, der Bischof von Rom. Gerade die angelsächsische Kirche hatte sich traditionell eng an Rom angebunden. Daran knüpfte Wylfreth an.

Der „gutes Schicksal“ im Schutz der fränkischen Schwerter bringt

So begab er sich 718 auf eine Pilgerfahrt nach Rom, wo er 719 von Papst Gregor II. in seinen Missionsbemühungen bestätigt wurde und dafür auch einen Namen erhielt: Bonifatius – „der gutes Schicksal Bringende“.

Da der christenfeindliche Radbod mittlerweile gestorben war, machte Bonifatius einen neuen Anlauf in Friesland. Auch der scheiterte, nach zwei Jahren brach der Missionar sein Engagement hier 721 ab.

Daraus zog Bonifatius den Schluss, seine Bemühungen noch stärker mit den weltlichen Herrschern zu verbinden, um seiner Mission mehr Durchschlagskraft zu verleihen. In Westeuropa waren das vor allem die fränkischen Hausmeier, die Karolinger, die anstelle der Könige regierten.

Daher wirkte er die nächsten Jahrzehnte im Einflussgebiet des Frankenreiches. In großen Expeditionen bereiste er Hessen, Bayern und Thüringen, predigte und gründete Klöster. Dabei setzte er nicht nur auf das Wort, sondern auch auf Zeichen.

Dazu gehört etwa das Fällen der Donareiche bei Geismar, ein bis heute mit ihm eng verbundenes Ereignis. Um die Machtlosigkeit des Gottes Donar zu erweisen fällte Bonifatius seine heilige Eiche und erbaute aus dem Holz ein Oratorium.

Die Fällung war zugleich aber auch ein Zeichen der Machtlosigkeit der Einheimischen. Denn die Donareiche stand Nahe der fränkischen Festung Büraburg. Den Frevel des Bonifatius konnten die Einheimischen daher nicht mit Gewalt erwidern, da er durch die nahen fränkischen Truppen geschützt wurde.

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Der hl. Bonifatius mit seinen Insignen: Als Bischof und dem durchstochenen Buch als Zeichen des Martyriums

Ein geschickter Kirchenpolitiker

Das zeigt: Bonifatius handelte nicht nur als Missionar, sondern auch als „Agent“ des römischen Bischofs und des fränkischen Hausmeiers. Beider Interessen trafen sich in der Christianisierung der germanischen Völker wie im Aufbau einer Kirchenorganisation nach dem Muster der alten Reichskirche.

Auch daran war Bonifatius beteiligt: Ihm wird die Reorganisation der Bistümer Regensburg, Passau, Salzburg und Freising ebenso zugeschrieben wie die Gründung der Bistümer Büraburg, Würzburg, Eichstätt und Erfurt. Er selbst war seit 746 Bischof von Mainz.

Gegen Ende seines Lebens brach er erneut auf eine Missionsreise zu den Friesen auf. Auf einer Firmreise zu christlichen Friesen wurde er 754 oder 755 überfallen und starb. Zwar ist umstritten, ob es der Angriff Bonifatius als Missionar galt oder ob es sich um einen Raubüberfall handelte.

Sicher ist aber: Schon kurz nach seinem Tod setzte seine kultische Verehrung ein; besonders in Fulda. Dort wollte er begraben werden und dort bildete sich ein Zentrum der Verehrung des Heiligen heraus.

Doch kein Kirchenfürst

Die große Leistung des Bonifatius war es, dass er die günstige Gelegenheit ergriff, die sich ihm damals bot: Die fränkischen Hausmeier und der römische Bischof hatten gemeinsame Interessen. Das aus dieser Verbindung hervorgehende Machtpotenzial nutzte Bonifatius jahrzehntelang geschickt, um Strukturen aufzubauen, die zu einer langfristigen Christianisierung weiter Teile des heutigen Deutschlands beitrugen.

Dass er darüber kein machtversessener Kirchenfürst wurde, zeigte er am Ende seines Lebens. Statt warm in seinem Palast zu sitzen, wagte er sich der alte Bonifatius noch einmal zu den Friesen. So wurde sein Tod zur Beglaubigung der Botschaft eines Mannes, der seine Mission nicht aus dem Blick verlor.  

Foto

Header-Foto: James Steakley (Wikimedia Commons