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Freitag, 11. August 2023

Die Not der Dalit in Indien

Bei unserer Provinzversammlung in Hünfeld habe ich von den Dalits in Indien berichtet – mein Bericht hat die Mitbrüder schockiert. Innerhalb der indischen Gesellschaft sind die Dalit besonders benachteiligt. Das geht so weit, dass sie bestimmte Straßen nicht nutzen dürfen oder ihre Toten nicht so beerdigen können, wie sie möchten. „Dalit“ kann mit „gebrochen“ oder „unterdrückt“ übersetzt werden. Sie stehen unterhalb des Kastensystems und gelten als „unberührbar“, was weitreichende Folgen hat. Bevor ich nach Deutschland gekommen bin, habe ich bei den Dalit gearbeitet.

Die Unterscheidung zwischen „rein“ und „unrein“

In Indien bestimmt die rituelle Beziehung zum Heiligen, ob jemand als „rein“ oder „unrein“ gilt. Die Manusmriti, die wichtigste Textquelle des alten Indiens zum Kastensystem, stellt die Dalit auf die gleiche Stufe wie ein Dorfschwein und eine menstruierende Frau.

Weil Dalit hauptsächlich Arbeiten im Zusammenhang mit körperlichen Ausscheidungen, Müll und dem Tod verrichteten, galten sie als Unberührbare. Aufgrund ihrer Armut aßen sie die Essensreste, was sie ebenfalls unrein machte. Ihre Berührung, ihr Atem, ihr Anblick und sogar ihre Schatten wurden von den oberen Kasten als Verunreinigung angesehen. Sie hatten keinen Zutritt zu Tempeln, religiösen Prozessionen, Schulen, öffentlichen Brunnen, durften nicht durch Straßen gehen, in denen höhergestellte Hindus lebten. Sie hatten ihren Wohnsitz außerhalb des Dorfes. Die Angehörigen der oberen Kaste aßen nicht mit ihnen, die Dalit-Diener bekamen ihr Essen außerhalb des Hauses. Eine Heirat mit ihnen war undenkbar. Verstöße dagegen wurden mit dem Tod geahndet.

Allein zwischen 2017 und 2019 soll es 145 Fälle von Ehrenmorden in diesem Zusammenhang gegeben haben. Dalit-Aktivisten und Menschenrechtler sprechen nicht von „Ehrenmord“, sondern nennen die Taten „hochmütige Tötung“.

Gesellschaftliche Veränderungen

Steigender Wohlstand und Mobilität sowie Verstädterung tragen heute zum Wandel bei, der sich auch in einer wachsenden kastenübergreifenden Mittelschicht zeigt. Auf dem Land sieht das allerdings vielfach anders aus.

Selbst heute noch ist es den Dalits in einigen Hindu- Dörfern nicht erlaubt, mit Sandalen zu gehen, einen Regenschirm zu tragen oder Fahrrad zu fahren. Ihre Verstorbenen dürfen nicht durch die Straßen der Kastenhindus getragen oder auf einem öffentlichen Friedhof beerdigt werden. Hochzeitsfeiern und religiöse Prozessionen sind auf den Straßen der Hindus nicht erlaubt.

Auch was Besitz angeht, sind Dalits oft von den oberen Kasten abhängig. Viele sind hoch verschuldet, was wiederum zu Schuldknechtschaft führt und auch Bildungsrückstand ihrer Kinder bedeutet, weil die Eltern nicht in der Lage sind, das Schulgeld aufzubringen.

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Viele Dalits leben in Slums wie Dharavi, einem Vorot von Mumbai. Foto: A. Savin (wikimedia)

Die Situation christlicher Dalit

Rund 65 bis 70 Prozent der indischen Christen sind Dalits. Sie sind in mehrfacher Hinsicht benachteiligt: Teilhabe an politischem Einfluss und wirtschaftlicher Unterstützung wird ihnen seitens der Gesellschaft schwer gemacht.

Hinduistische Dalits betrachten sie mit Missgunst, weil sie glauben, die christlichen Dalits würden kirchlicherseits unterstützt. Kastenchristen behandeln sie oft von oben herab und die Dalit-Christen selbst sind noch mal nach regionaler, sprachlicher und konfessioneller Herkunft gespalten.

Das Leiden der Dalit-Christen unter den Kastenchristen ist nicht geringer als das Leiden unter den hohen Hindu-Kasten.

Das zeigt beispielsweise die Sitzordnung in Kirchen. Auch die Friedhöfe sind getrennt, an gemeinsame Mahlzeiten und Eheschließungen ist nicht zu denken. Diskriminierung zeigt sich auch darin, dass von den 170 katholischen Bischöfen Indiens nur elf Dalits sind. Nur wenige Dalit-Priester sind Generalvikare oder Leiter von Sozialwerken, Schulen und pastoralen Zentren. Kastengemeinden tun sich schwer, Dalit-Priester zu akzeptieren und Priester aus den „oberen Kasten“ verspüren oft eine Abneigung, die Häuser der Dalit zu besuchen.

Faktoren für den Wandel

Eine entscheidende Rolle für einen sozialen Wandel spielt die Bildung. Sie ist ein Schlüsselinstrument zur Befreiung von den unterdrückerischen Strukturen und zum Aufbau einer neuen Gesellschaftsordnung.

Des Weiteren müssen Dalits mehr Teilhabe auf allen politischen und gesellschaftlichen Ebenen erhalten. Sie müssen an den Orten präsent sein, an denen Entscheidungen getroffen werden.

Der von Papst Franziskus angestoßene synodale Prozess sollte schließlich die indische Kirche ermutigen, die kritischen Stimmen der Ausgegrenzten zu hören. Mit Dr. Anthony Poola aus Hyderabad wurde der erste Dalit zum Kardinal ernannt – das ist ein starker Aufruf an die katholische Hierarchie Indiens, den Dalit-Christen eine gleichberechtigte Vertretung in der Hierarchie zu gewähren.

Jesus hat den Armen die Frohe Botschaft gebracht. Er war der Anwalt der Armen. Heute muss die indische Kirche dafür sorgen, dass die gute Nachricht der Freiheit, der Menschenwürde, der Menschenrechte und der Gleichheit den Dalits zuteilwird. Sie muss zunächst selbst zu einem radikalen Wandel bereit sein, nur so kann sie eine wahre Dienerin des Reiches Gottes sein. Beten Sie mit uns, dass das gelingt.