Wenn Heimat keine Heimat mehr ist
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Donnerstag, 26. September 2024
Zum Welttag des Migranten und Flüchtlings

Wenn Heimat keine Heimat mehr ist

 „Wo jetzt nur einige wenige sind, werden jedes Jahr weitere kommen, bis euer Land von ihnen überrannt wird ... ihr und euer Land werden eingenommen und eure Leute aus ihren Häusern vertrieben. … Ihr könnt kämpfen und die Invasion eine Zeit lang aufhalten, aber ihr könnt sie nicht abwenden.“

Das liest sich wie die Untergangsprophezeiungen, wie sie von Donald Trump und von vielen europäischen Rechtspopulisten zu hören sind.

Doch der Autor ist Pater Charles Pandosy OMI, der in den 50er Jahren des 19. Jahrhunderts in einem Brief an Eugen von Mazenod ein Gespräch mit Kamiakin skizziert, dem Häuptling der Yakima, amerikanischen Ureinwohnern, die damals in Oregon und Washington State lebten.

Pater Pandosy beschreibt darin die Lage, in der sich die amerikanischen Ureinwohner befanden. Immer mehr weiße Siedler rückten immer weiter nach Westen vor und entrissen den Indianern immer größere Teile ihres Landes. Die Weißen waren den Ureinwohnern schon an Zahl überlegen und das Reservoir an Siedlern aus Europa und der amerikanischen Ostküste schien unbegrenzt zu sein. Die Yakima fühlten sich von den weißen Siedlern bedroht – zurecht.

Auf wessen Seite steht der Staat?

Das ist der zentrale Unterschied zwischen der Siedlungsgeschichte der USA und den aktuellen Migrationsströmen: Die Regierung stand damals klar auf der Seite der Siedler und vertrieb die angestammten Einheimischen. Wer heute von einer Umvolkung schwadroniert, der Europa durch finstere Mächte unterzogen werden soll, dem ist daher ein Blick in die Geschichte der USA empfohlen, wie so etwas wirklich aussieht.

Und auch in Europa gibt es zahlreiche Menschen mit Migrationsgeschichte. 12 bis 18 Millionen Deutsche mussten während und nach dem 2. Weltkrieg aus ehemaligen Ostgebieten fliehen. In Deutschland gibt es nur wenige Familien, in denen es keine Vertreibungsgeschichte gibt.

Jeder, der fliehen muss, ist auf Menschlichkeit an seinem Ankunftsort angewiesen – wo den meisten diese Menschlichkeit von vielen verwehrt wird. Viele Schlesier etwa galten in ihrer neuen Heimat noch lange als „Pollaken“ und wurden als Konkurrenten um Land und knappe Ressourcen angesehen. Und das obwohl damals die Regierung auf der Seite der Zugezogenen stand und sie als Deutsche Nation und Kultur teilten.

Ein Dilemma

Natürlich ist das Problem der Migration nicht leicht zu lösen. Kein Land kann seine Grenzen wahllos für alle öffnen, die einreisen wollen. Doch wer den Blick in die Vergangenheit der eigenen Familie oder des eigenen Landes wagt, der wird dort Erfahrungen mit Flucht und Migration finden. Pater Ron Rolheiser OMI schreibt mit Blick auf die Einwanderungsgeschichte der USA in zugespitzter Weise:

Wie rechtfertigen wir die Tatsache, dass wir andere vertrieben haben, um uns hier ein Leben aufzubauen, und es nun ungerecht finden, dass andere dasselbe mit uns tun.

Eine provozierende Formulierung, die aber daran erinnert, dass auch viele Menschen, die in unserer Heimat leben, einst Fremde waren.

Über Fluchtwege der Menschen, die heute nach Europa kommen, schreibt im WEINBERG Maximilian Röll. Er zeichnet dabei nach, wie die Logik des Schreckens, hinter der sich Europa dabei versteckt, auch für den Kontinent selbst zum Problem wird.

Neben dieser historischen Perspektive tritt für den Christen auch der Blick des Glaubens – der klar auf der Seite der Menschen steht, die vor Hunger und Not fliehen müssen. Mehr noch. Papst Franziskus beschreibt in seiner Botschaft zum Welttag der Flüchtlinge die Migranten als Menschen auf, in denen wir uns selbst und unsere Beziehung zu Gott entdecken:

Ebenso kann man in den Migranten unserer Zeit, wie in denen einer jeden Epoche, ein lebendiges Abbild des Gottesvolkes auf dem Weg in die ewige Heimat sehen. Ihre Wege der Hoffnung erinnern uns daran, dass »unsere Heimat aber […] im Himmel [ist].

Als biblische Analogie verweist der Papst dabei insbesondere auf die Exodus-Erzählung:

Wie das Volk Israel zur Zeit Moses fliehen Migranten oft vor Unterdrückung und Übergriffen, vor Unsicherheit und Diskriminierung, vor mangelnden Entwicklungsperspektiven.

Wie das biblische Volk Israel geht Gott auch heute den fliehenden Menschen voraus und begleitet sie. So ist das Zelt die passende Wohnung für Gott:

Das Zelt ist eine Form der Gegenwart, die dem Herrn besonders teuer ist.

Folgerichtig erfahren viele Migranten

Gott als Weggefährten, als Führer und Anker des Heils. Ihm vertrauen sie sich an, bevor sie aufbrechen, und an ihn wenden sie sich in Zeiten der Not. Bei ihm suchen sie Trost in Zeiten der Verzweiflung. Dank ihm gibt es entlang des Weges gute Samariter. Ihm vertrauen sie im Gebet ihre Hoffnungen an.

Und Gott identifiziert sich mit den Menschen, die mit ihm durch die Geschichte hindurch unterwegs sind, so der Papst.

Deshalb ist die Begegnung mit Migranten wie mit jedem Bruder und jeder Schwester in Not »zudem Begegnung mit Christus. … Jede Begegnung auf dem Weg ist also eine Gelegenheit, dem Herrn zu begegnen; und sie ist eine Gelegenheit voller Heil, denn in der Schwester oder dem Bruder, die unsere Hilfe benötigen, ist Jesus gegenwärtig.

Und so betont der Papst:

In diesem Sinne retten uns die Armen, weil sie uns ermöglichen, dem Antlitz des Herrn zu begegnen.

Das Alte Testament ist durchzogen von den Erfahrungen der Israeliten - Menschen, die auf Wanderschaft waren. Über die biblischen Geschichten, die von Flucht und Migration handeln, hat im WEINBERG Professor Thomas Hieke geschrieben.

Bei den Ärmsten – Engagement der Oblatenmissionare

Seit ihrer Gründung suchen die Oblatenmissionare die Nähe zu den Menschen, die ihre Heimat verlassen müssen. Bis heute.

Flucht ist ein langer Weg mit vielen Etappen. Flüchtlinge brauchen Hilfe, nicht erst, wenn sie in Europa sind. Die Oblaten haben für Flüchtlinge zwischen Wüste und Atlantik ein Projekt gegründet. Den ganzen Artikel lesen Sie hier.

„Wir verpflichten uns, den Armen mit ihren vielen Gesichtern zu Hilfe zu kommen.“ Dieser markige Satz findet sich in den Dokumenten des letzten Generalkapitels der Oblaten. Wie dieser große Anspruch umgesetzt werden kann, zeigt ein Oblatenmissionar in Oberschwaben.