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Freitag, 16. Juni 2023
Tag gegen Gewalt gegen ältere Menschen

Dringende Sensibilisierung für ein zunehmendes Problem

In den letzten Jahren hat die Gewalt gegen ältere Menschen zugenommen. 4 bis 6 Prozent der Menschen über 60 Jahren berichten davon, Opfer von Diskriminierung und Gewalt geworden zu sein - die Dunkelziffer dürfte noch um einiges höher sein.

Hintergründe der Gewalt gegen ältere Menschen sind gesundheitspolitische und gesellschaftliche Missstände wie die Überforderung von Pflegekräften und Angehörigen, auch die häufig prekäre finanzielle Situation im Alter. Daher ruft der Tag gegen Gewalt gegen ältere Menschen am 15. Juni das Thema ins Bewusstsein der Öffentlichkeit.

5 Millionen Pflegebedürftige

Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes von 2022 sind in Deutschland 5 Millionen Menschen pflegebedürftig. 63 Prozent der Pflegebedürftigen werden zu Hause überwiegend von Angehörigen versorgt, 16 Prozent stationär in Heimen.

Laut Angaben von Altersforschern und Polizei sind bis zu zehn Prozent der Pflegebedürftigen zu Hause Gewalt ausgesetzt. In Heimen gehen Schätzungen sogar von bis zu 20 Prozent aus. Bei Demenzkranken dürfte es sogar jeder zweite sein.

Ursachen und Folgen

Gewalt gegen ältere Menschen ist meist die Folge von Überforderung der Pflegenden.

Laut Gabriele Tammen-Parr, Leiterin der Beratungs- und Beschwerdestelle bei Konflikt und Gewalt in der Pflege älterer Menschen der Diakonie in Berlin-Kreuzberg, muss dabei bedacht werden, wie lange Pflege zuhause stattfindet – im Durchschnitt 10 Jahre lang.

„Und in dieser Zeit stößt man natürlich an seine Grenzen, sowohl körperlich als auch emotional. Und viele sagen auch, wenn ich gewusst hätte, was in dieser langen Zeit auf mich zukommt, hätte ich mir diese Pflege zu Hause vielleicht gar nicht zugetraut“, so Tammen-Parr im Deutschlandfunk.

Die Pflegenden „erleben einen ganzen Gefühlscocktail. Das geht von Verzweiflung bis hin zu Mitgefühl, Aggressionen, starken Hassgefühlen. Und die Palette reicht, sage ich mal, von verbalen Entgleisungen bis hin zu körperlichen Auseinandersetzungen.“

Hinzu komme noch die Beziehungsgeschichte, in der auch Verletzungen enthalten sind, die nicht aufgearbeitet werden konnten. „Es gibt manchmal auch alte Wut, alten Groll, der sich dann in dieser Situation auch noch mal sozusagen meldet,“ so Tammen-Parr.

Fehlendes Personal

Überforderung gibt es auch im stationären Feld. Dort wird zwar professionell gepflegt. Aber es herrscht Pflegenotstand - es fehlen qualifizierte Pflegekräfte. „Wir haben es immer wieder, dass Einrichtungen sagen, wir haben in jedem Team ein, zwei Personen, die gehören hier eigentlich nicht hin in diesen Beruf. Trotzdem aber müssen sie sie mittragen, sage ich mal, weil sie sich gar nicht erlauben können, über Monate eine Stelle unbesetzt zu lassen“, erläutert Tammen-Parr.

Paul Weimann, Vorsitzender des Landesverbandes VdK-Hessen-Thüringen erklärt: „Viele Fachkräfte engagieren sich leidenschaftlich für ihre Aufgabe, leisten unter enormem Zeitdruck und starker Belastung großartige Arbeit.“ Die Personalsituation verschärfe sich aber: „Im Vergleich zu 2015 werden allein in Hessen bis 2035 fast 13.000 Pflegekräfte mehr benötigt, um die Versorgung auf dem derzeitigen Niveau zu halten“.

Gegenmaßnahmen

Ein entscheidender Punkt bei der Bekämpfung der Gewalt gegen ältere Menschen ist es, bei den Angehörigen anzusetzen. „Natürlich, jeder Mensch hat den Wunsch, zu Hause mal zu sterben und dort alt zu werden, das kann ich verstehen. Trotzdem aber geht es, glaube ich, darum auch, dass wir die Angehörigen entlasten und immer wieder auch betonen, nur solange es wirklich für euch geht“, so die Leiterin der Beratungs- und Beschwerdestelle.

Für die stationäre Pflege, aber auch die durch externe Dienste zuhause, wird zudem mehr Personal benötigt – Tendenz steigend. Verbessert werden müsse vor allem die Situation in Heimen, in denen an Demenz Erkrankte leben, so Weimann. 

Eine gute Vorbereitung und Begleitung sowohl von Angehörigen wie von Pflegekräften bildet einen weiteren Eckstein. Dazu leistet der Tag gegen Gewalt gegen ältere Menschen einen Beitrag, indem er das Thema in die Öffentlichkeit holt.