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Orientierung
Freitag, 29. September 2023

Kennst du alle Erzengel?

Wusstest du, dass der Engel Gabriel kein Erzengel ist?

Wenigsten weiß die Heilige Schrift nichts davon.

Die Bibel kennt nur einen Erzengel, namentlich: Michael. Gabriel stellt sich dagegen der Gottesmutter nur als Engel vor. Doch was heißt schon: nur. Ist Engel nicht gleich Engel?

Die geflügelten Geistwesen gehören zu den vielgestaltigsten Wesen in den abrahamitischen Religionen - und nicht nur dort. Sie treten überall auf, wo Gott selbst nicht in Erscheinung tritt, aber es einen Kontakt zwischen Transzendenz und Immanenz gibt.

Aber: Die Heiligen Schriften messen ihnen wenig Bedeutung bei: Sie sind Werkzeuge Gottes - mehr nicht. Welches Eigenwesen sie haben, damit beschäftigen sich die Texte nicht. So entsteht ein weiter Raum, Engel zu beschreiben, zu klassifizieren, zu benennen und ihnen Aufgaben zuzuweisen.

Eine der wenigen biblischen Einteilungen der Engel ist die Kategorie der Erzengel.

Erzengel in der Bibel

Schon das Buch Josua im Alten Testament weiß davon, dass die "Heere des Herrn" einen Anführer haben, der dort aber nicht namentlich genannt wird (Jos 5,13-15).

Das deutsche Wort Erzengel stammt aus dem griechischen Archangelos - Angelos für Engel und Arch/Arche für Anfang, Führung.

In der Bibel kommt es - in ihrer griechischen Version - nur zweimal vor: In Judas 9 wird explizit Michael als Erzengel genannt, der mit dem Teufel über den Leichnam des Mose stritt. In 1 Thess 4,16 erscheint ein Erzengel ohne Namensnennung, der die Herabkunft des Herrn ankündigt. Freilich kann man Daniel 10,13 so verstehen, dass die Bibel mehrere Erzengel kennt, denn dort wird Michael als einer der ersten unter den Fürsten genannt - also gibt es mehrere seines Ranges. Ansonsten gibt die Bibel wenigstens im jüdischen und den meisten christlichen Kanones, keine weitere Auskunft.

Die Engel im Buch Henoch

Eine Ausnahme bildet das Erste Buch Henoch. Es stammt vermutlich aus dem 1. Jahrhundert vor Christus. Dort werden die Erzengel Michael, Gabriel, Raphael, Uriel, Raguel, Sariel und Remiel erwähnt. Diese Siebenzahl der Erzengel kann als Interpretation auf Tobit verstanden werden: Dort teilt Raphael dem Tobias mit, er sei einer der sieben heiligen Engel, die vor das Angesicht Gottes treten (Tob 12,15). Das Buch Henoch hat es aber nur in den äthiopischen Kanon der Bibel geschafft.

Doch trotz oder wegen des dürftigen biblischen Befundes bildete sich in allen abrahamitischen Religionen komplexe Engel-Lehren heraus.

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Die Erzengel innerhalb der neun Engelschöre im Mosaik des Baptisterium San Giovanni in Florenz

Neun Chöre der Engel

Pseudo-Dionysos, ein anonymer christlicher Autor des 6. Jahrhunderts, beschreibt neun Chöre der Engel. Die Erzengel teilen sich dort mit den gewöhnlichen Engeln und den Fürsten eine Gruppe. Sie sind dort aber den Seraphim nachgeordnet.

Laut Gregor dem Großen (540-604) besteht der Unterschied zwischen den Erzengeln und den gewöhnlichen Engeln darin, dass Ersteren die Ankündigung bedeutsamer Dinge vorbehalten ist - wie etwa die Verkündigung der Geburt Jesu. Isidor von Sevilla (560-636) bezeichnet sie entsprechend als höchste Boten.

Im Christentum bilden besonders Michael und Gabriel ein beliebtes Paar, das auch in der Kunstgeschichte häufig dargestellt wird. So erscheinen sie beiden häufig auf Mosaiken als Begleiter Christi. In Syrien ist anhand von Inschriften nachgewiesen, dass beide Erzengel zusammen mit Christus angerufen wurden.

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Die Erzengel Michael und Gabriel mit Christus auf einer griechischen Ikone des 15. Jahrhunderts

Die Gruppen der Erzengel

Der schon genannte Gregor der Große nennt drei Erzengel: Michael, Gabriel und Raphael. Papst Zacharias legte dann 745 fest, dass nur diese drei als Erzengel namentlich bekannt seien - und verbot die Verehrung weiterer außerbiblischer Gestalten als Erzengel.

In der Ostkirche ist eine Vierer-Gruppe prominent; hier tritt Uriel hinzu. Diese Gruppe ist erstmals in der Epistula Apostolorum genannt, die vermutlich Mitte des 2. Jahrhunderts in Unterägypten verfasst wurde.

Auch das Judentum kennt diese Vierer-Gruppe.

Die Siebener-Gruppe aus dem Henoch-Buch ist auch mit anderen Namen bekannt. So nennt das koptische "Buch der Einsetzung des Erzengels Gabriel" folgende Namen: Michael und Gabriel, Raphael, Suriel, Zedekiel, Zalathiel und Anael.

Obwohl die westkirchliche Tradition die Verehrung von Erzengeln jenseits der bekannten Dreiergruppe verboten hat, waren Siebener Gruppen im Volksglauben so prominent, dass sie an unterschiedlichen Orten in der Westkirche nachgewiesen werden konnten. Die hatten mitunter klare Zuständigkeiten:

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Die sieben Erzengel auf einem Kupferstich von Hieronymus Wierix (1553–1619)

Die Aufgaben der Erzengel

So schreibt ein mittelalterlicher Kodex:

"Wenn es donnere, solle man an Gabriel denken, dann könne einem der Donner nicht schaden; wenn man die Hände hebe und an Michael denke, werde man einen erfreulichen Tag haben; wenn man im Kampf gegen Gegner stehe, solle man Uriels gedenken, dann werde man siegen; wenn man Brot und Trank zu sich nehme, solle man an Raphael denken, dann habe man immer Überfluss; Raguels solle man gedenken, wenn man unterwegs sei; Barachiels, wenn man vor einem mächtigen Richter stehe, dann werde man alles erklären können; und das Gedenken an Pantasaron bringe große Freude mit allen, wenn man sich bei einem Gastmahl befinde."

In Irland ist für das 15. Jahrhundert ein Gebet belegt, dass jeden Tag der Woche mit einem Erzengel verbindet: Gabriel, der gegen Übel und Schaden angerufen wird, ist dabei dem Sonntag zugeordnet, Michael, der mit Jesus verglichen wird, dem Montag, Raphael, der bei der Arbeit helfen soll, dem Dienstag, Uriel, machtvoll gegen Verwundung, Gefahr und rauen Wind, dem Mittwoch, Sariel, der gegen die Wellen der See und Krankheit hilft, dem Donnerstag, Rumiel, ein Segen, dem Freitag und Panchiel, der vor Fremden schützt, dem Samstag.

In der Neuzeit setzte sich in der Westkirche die Namen Michael, Gabriel, Raphael, Uriel, Barachiel, Sealtiel und Jehudiel durch. Nie von der offiziellen Kirche anerkannt, war ihr Kult aber ständig bedroht. So durften sie zunächst alle in der stadtrömischen Kirche Santa Maria degli Angeli dargestellt werden - später musste die Bilder auf die drei offiziell anerkannten Engel reduziert werden.

Ursprünglich wurden dieser drei Erzengeln an eigenen Tagen gedacht. Der 29. September war ursprünglich nur das Fest Michaels. Erst die Liturgiereform nach dem 2. Vaticanum bündelte die verschiedenen Gedenktage.

Die Namen der Erzengel

Auffällig ist, dass die Namen der bekannten Erzengel alle auf -el enden. El ist ein Begriff, der in vielen semitischen Sprachen Gott bezeichnet und auch im Judentum so verwendet wurde. So wurde er Bestandteil von Gott-tragenden Namen, wie es die Erzengels-Namen welche sind. Sie sind also hebräischen Ursprungs.

Gabriel bedeutet: Meine Kraft ist Gott; alternativ auch: Mein Mann oder mein Held ist Gott. Michael heißt: Wer ist wie Gott? Raphael heißt: Gott hat geheilt.

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Die drei Erzengel der lateinischen Kirche. Bild von Francesco Botticini 1470

Bilder und Symbole der Erzengel

In der Kunst wird Gabriel in der Regel mit einer Lilie dargestellt, Symbol für die Reinheit, da er es war, der Maria, einer Jungfrau, die Geburt eines Sohnes verkündete. Michael ist der Kämpfer unter den Erzengeln und wird daher mit Schild und Schwert gezeigt. Rafael wird aufgrund seiner Bedeutung als Reisebegleiter im Buch Tobit, häufig als Pilger dargestellt.

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Höllensturz Luzifers durch Michael. Bild von Peter Paul Rubens

Falsche Erzengel: Luzifer und Metatron

Es gibt auch Erzengel, die in der Moderne häufig als solche bezeichnet werden, obwohl es keine Entsprechung in den Traditionen hat: die Engel Luzifer und Metatron.

Luzifer wird im Christentum mit einem gefallenen Engel identifiziert, der Gott ungehorsam war und deswegen aus dem Himmel verband wurde. Er verschmolz mit dem Bild des Teufels. Doch gibt es in den Traditionen keine Entsprechung von Luzifer als Erzengel. Stattdessen wird er in manchen Überlieferungen als Cherubim identifiziert. Hierbei handelt es sich um eine andere Gruppe von Engeln, die in einigen Engellehren über den Erzengeln steht.

Metatron ist im Christentum weitgehend unbekannt und eine Gestalt der jüdischen Mythologie. Er wird auch im Talmud erwähnt und spielt auch in der Kabbala eine Rolle, wo er Gottes Botschaften etwa an den Propheten Daniel übermittelt und den Exodus anleitet. Laut dem Dritten Buch Henoch, einer allgemein nicht anerkannten Schrift im Judentum, ist Metatron der Patriarch Henoch, der von Gott zum Seraphin umgewandelt und zum König der Engel ernannt wurde.