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Orientierung
Freitag, 28. April 2023

Influencerin Gottes

Sie war die Tochter eines Handwerkers aus Siena, konnte nicht oder kaum schreiben, die Gelehrtensprache ihrer Zeit, Latein, hat sie nie gelernt - und doch war sie bei ihrem Tod mit nur 33 Jahren, Ratgeberin der Mächtigen, stand als Visionärin im Ruf der Heiligkeit und hatte nahezu 400 Briefe an Päpste und weltlicher Herrscher geschrieben; in den folgenden Jahrhunderten wurde sie zur Kirchenlehrerin erhoben und zur Patronin Europas.

Die Rede ist von der heiligen Katharina von Siena.

Viele Quellen zu einer Heiligen

1347 wurde Caterina Benincasa als jüngstes oder zweitjüngstes von 25 Kindern ihrer Eltern geboren – oder vielleicht auch nicht. Schon das Geburtsdatum der Heiligen gibt Rätsel auf.

Zwar ist ihr Leben für die damalige Zeit außergewöhnlich gut dokumentiert, da es mehrere Quellengruppen gibt, allen voran ihre Briefe und die Legenda maior, die von ihrem Leben berichtet. Freilich: Es handelt sich bei der Legenda um eine Hagiographie, verfasst, die Heiligkeit der schon Verstorbenen zur Förderung ihrer Heiligsprechung darzustellen.

Das Geburtsdatum beispielweise wurde zurückgerechnet. Fra Raimondo da Capua, der Verfasser der Legenda maior, sagte nur, Caterina sei 1380 mit 33 Jahren gestorben – also müsste sie im Jahr 1347 geboren sein.

Aber: 33 Jahre, das sind der Überlieferung zufolge auch die Lebensjahre Christi; eine auffällige Parallele, die gewollt sein kann. Die Miracoli di Santa Caterina da Siena, eine hagiographische Wundererzählung aus Florenz, lässt hingegen den Schluss zu, Caterina sei erst 1355 geboren worden.

Robert Fawtier dagegen errechnet ausgehend von einer Mitgliederlisten der Dominikaner-Terziarinnen aus Siena, Caterina müsste schon 1337 das Licht der Welt erblickt haben.

Schon dieses Beispiel zeigt: Wer eine glatte Geschichte Caterinas erzählen will, der wird scheitern. Doch lässt sich anhand der Quellen und Überlieferungen sehr wohl nachvollziehen, wie aus ihr eine verehrte Heilige und Mystikerin sowie Ratgeberin der europäischen Politik werden konnte.

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Santuario di Santa Caterina in Siena wurde um das Wohnhaus Caterinas erbaut

Erste Christusvision des jungen Mädchens

Folgt man der Legenda maior so hatte Caterina schon im Alter von sechs Jahren eine erste Christusvision. Sie sah über dem Dach der Dominikanerkirche „ein wunderschönes, mit königlicher Pracht geschmücktes Brautgemach. Darin sah sie den Erlöser der Welt, den Herrn Jesus Christus, auf einem Herrscherthron, angetan mit bischöflichen Gewändern und der Tiara, der Königs- und Papstkrone, auf dem Haupt“.

Mit sieben Jahren gelobte sie, ein asketisches Leben in Jungfräulichkeit zu führen. Um diesem Leben eine Ordnung zu geben, trat sie in bei den Dominikanertertiarinnen in Siena ein.

Sie lebte zurückgezogen in einem Zimmer ihres Elternhauses in strenger Askese, verbunden mit Bußübungen.

Mystische Vermählung

Das änderte sich durch eine andere Christus-Vision, einer mystischen Vermählung mit Jesus. Von da an trat die Askese in den Hintergrund. Dafür widmete sie sich verstärkt dem Dienst an den Armen und Kranken.

Und: Caterina trat als Laienpredigerin auf. Sie berichtete von ihrem inneren Erleben; aber nicht in gelehrtem Latein, sondern in einer volkstümlichen, mitreißenden Sprache. Aus der Verbindung von Mystik, Nächstenliebe und Zeugnis gewann sie schnell einen Kreis von Anhängern. In dieser Gruppe verwirklichte sie ihre Form der Mutterschaft: Sie nannte ihre Anhänger ihre Familie wurde mit Mamma angesprochen.

Da sie zu den Dominikaner-Terziarinnen gehörte, waren die Dominikaner für die junge Asketin zuständig. So wurde sie 1374 vor das Generalkapitel der Dominikaner geladen. Dort gab sie Auskunft über ihre Lehre - die angenommen wurde. Freilich versuchten die Dominikaner sie durch die Beiordnung eines geistlichen Begleiters einzuhegen.

Dazu wurde Frau Raimondo da Capua bestimmt. Damit stellte der Orden der Asketin einen seiner gewandtesten Mitbrüder zur Seite. Raimondo agierte fortan als Beichtvater, Manager, später auch als ihr Biograf. Er war es auch, der die Kontakte zu den kirchlichen Autoritäten vermittelte.

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Caterina soll die Stigmata empfangen haben. Gemälde von Tiepolo aus dem 18. Jahrhundert

Schwere Vorwürfe gegen den Papst

Dieses Networking trug Früchte. Papst Gregor XI. beauftragte Caterina ein Gebet für den Papst und die Kirche zu verfassen.

Aber: Das Verhältnis zwischen Papst und Laienpredigern war nicht konfliktfrei. Als Gregor XI. nach einem kurzen Aufenthalt in Rom nach Avignon zurückkehrte, wo die Päpste zwischenzeitlich residierten, reiste Caterina ihm 1376 nach und machte ihm schwere Vorwürfe.

Kurz zuvor, im Jahr 1374, hatte Caterina der Legenda maior zufolge Heilungswunder vollbracht: Mehrere Pestkranke waren von ihr geheilt worden, darunter auch Fra Raimondo. So war ihr Ruf als Wundertäterin etabliert.

1375 soll sie die Stigmata, die Wundmale Christi, erhalten haben – allerdings waren sie nur für sie selbst sichtbar.

Mit der Gnade Gottes das Böse überwinden

In ihren Briefen verkündete sie eine einfache geistliche Botschaft, in sie in eindrucksvolle Bilder kleidete:

Der Mensch hat einen freien Willen, mit dem er die Mächte des Bösen in sich selbst und in der Welt bekämpfen kann - vorausgesetzt, er nutzt die Gnade, die Gott ihm anbietet. Diese Gnade ist durch den Opfertod Jesu Christi in die Welt kommen. Sie hilft dem Menschen gegen Selbstsucht, die Quelle allen Übels. Durch die Liebe zum Erlöser verwandelt sich der Egoismus des Menschen in tätige Nächstenliebe.

Trotz ihres Einflusses waren die großen Projekte Caterinas unvollendet, als sie 1380 in Rom starb: Die Kirche war nicht reformiert, der Kreuzzung hatte nicht stattgefunden, und es gab sogar zwei Päpste, einen in Rom und einen in Avignon.

Influencerin Kraft Lebensführung und Charisma

Freilich: Weder Caterina selbst noch ihre Zeitgenossen haben sie in erster Linie als Politikerin wahrgenommen - sondern als charismatische Mystikerin. Ihre Briefe an die Mächtigen enthalten selten politische Argumente. Sie haben den Charakter von religiösen Droh- und Lehrschreiben.

Caterina war eine mächtige Frau, aber keine mächtige Politikerin. Sie war eine Influencerin im eigentlichen Sinne des Wortes: Ihre überzeugende Lebensführung und ihr Charisma bildeten die Grundlage ihres Einflusses, den sie und ihre Manager in Netzwerke lenkten.

So tat das Misslingen fast aller ihrer kirchenpolitischen Ziele ihrem Ruf keinen Abbruch. Die Geschichte ihres heiligmäßigen Lebens, ihr beeindruckender Werdegang, ihr Wirken als Mystikerin, ihre Schriften, sie ließen Katharinas Ruhm über die Zeiten hinweg weiter strahlen: 1939 wurde sie zur Patronin Italiens, 1970 zur Kirchenlehrerin, 1999 zur Patronin Europas erhoben.

Fotos

Header: Caterina diktiert ihre Dialoge, von Giovanni di Paolo, im 15. Jahrhundert

Santuario di Santa Caterina: LigaDue (Wikimedia Commons)

Stigmata: Ölgemälde von Giovanni Battista Tiepolo, um 1746