Alkohol, oh Alkohol, du bist mein Feind …
Ein Vortrags-Abend in einer Freikirche: Im Anschluss an den inhaltlichen Block zur Bibelexegese gehen einige der Teilnehmer noch etwas im naheliegenden Restaurant essen. Der Autor dieser Zeilen hat das Glück, nicht mehr mit dem Auto fahren zu müssen und bestellt sich einen Wein. Die Tischnachbarin schaut scheel und flüstert ihm zu: „Wir sind gute Christen. Wir trinken keinen Alkohol!“ Mir liegt unmittelbar ein Kommentar auf den Lippen, den ich mir dann doch verkneife: „Ach, folgt ihr Jesus nicht nach?“
Fresser und Säufer
Jesus war kein Kostverächter. Sein erstes Wunder tat er in Kanaa, indem er Wasser in Wein verwandelte. Dabei scheinen die Gäste dem Getränk schon ordentlich zugesprochen zu haben, immerhin ging der Alkohol zur Neige. Aber „niemand kam auf die Idee, dass die Gäste jetzt langsam mal runterkommen und dann auch nach Hause gehen könnten“, so Mark Forsyth in seinem humorvoll geschriebenen Buch „Eine kurze Geschichte der Trunkenheit“. Auch bei den Gastmählern, an denen Jesus mit seinen Jüngern teilnahm, muss genug Wein geflossen sein, um seinen Gegnern zur Übertreibung Anlass zu geben, er sei ein Fresser und Säufer (Mt 11,19). Im letzten Abendmahl heiligte er sogar den Wein neben dem Brot, der so zu einem elementaren Teil der Liturgie wurde. Ein spaßbefreiter Asket, das war Jesus gewiss nicht.
Er reiht sich damit ein in die Tradition des Alten Testamentes: Dessen Texte zeigen ein entspanntes Verhältnis zum Alkohol. Noah etwa legt nach der Sintflut einen Weinberg an; beim Genuss der Früchte seiner Arbeit übertrieb er es und lag betrunken in seinem Zelt. Doch nicht er wird daraufhin vom Text gemaßregelt, sondern sein Sohn Ham, der die Blöße seines Vaters seinen Brüdern weitererzählt. Diskretion scheint in dieser Geschichte also wichtiger als Maßhalten zu sein
Das Buch der Sprüche zeigt ein differenziertes Verhältnis zum Rausch: „Könige sollen sich nicht mit Wein betrinken … Er könnte beim Trinken seine Pflicht vergessen / und das Recht aller Notleidenden verdrehen. Gebt berauschenden Trank dem, der zusammenbricht, / und Wein denen, die im Herzen verbittert sind!“ (Sprüche 31,4f.). Der Rausch wird also nicht als etwas per se Schlechtes beschrieben. Es kommt immer auf die Situation an: Einem König steht es nicht an, sich am Wein zu berauschen, könnte er doch die Gerechtigkeit darüber vergessen. Menschen aber, denen es gerade schlecht geht, können sich mit Wein durchaus etwas Linderung verschaffen.
Die Bedeutung des Alkohols für die Menschen in biblischer Zeit verdeutlichen auch die Klagelieder Jeremias: Darin wird das Fehlen von Brot und Wein durch die Zerstörung Jerusalems betrauert; beide werden also als Grundnahrungsmittel zusammen gedacht (vgl. Klagelieder 2,12).
Rausch und Disziplin
Die Bibel stellt damit ein Zeugnis ihres kulturgeschichtlichen Entstehungskontextes dar: Die Antike betrachtete den Genuss alkoholischer Getränke als Teil des menschlichen Lebens. Und wie alle Formen und Regungen des Menschseins musste er kontrolliert werden, um nicht seine destruktiven Kräfte freizusetzen. So war etwa das griechische Symposion oder das römische Convivium streng reglementiert, um auch im berauschten Zustand die Sozialkontrolle zu wahren.
Das wurde in der Antike als wesentliche Kulturleistung betrachtet, mit der man sich von anderen Völkern abgrenzen konnte. So rümpften etwa die antiken Griechen ihre Nasen über die Barbaren; die tranken ihren Wein unvermischt; die Griechen dagegen gaben ihrem Wein Wasser zu und behielten bei mehr Geschmack dadurch ein höheres Maß an Kontrolle.
Wein ist nichts für Mönche
Doch woher stammt dann die Annahme der Tischnachbarin dieses Autors, gute Christen tränken keinen Alkohol? Diese Vorstellung beruht nicht vorrangig auf biblischen, sondern auf asketischen Traditionen.
Antonius der Große war den Erzählungen nach der Erste, der sich aus dem fruchtbaren Niltal in die Wüste zurückzog, um dort als Einsiedler zu leben. Er floh nicht nur vor den Menschen, sondern auch vor dem guten Essen und Trinken. Nur von trockenem Brot soll sich Antonius ernährt haben; eine Kost, die hin und wieder durch ein Salatblatt als Highlight aufgebessert wurde. Die Wüstenväter, die in seiner Tradition lebten, konnten es so weit treiben, dass schon eine Gurke als Versuchung galt. Versuchung, weil es Sinn der körperlichen Askese war, den Leib durch Fasten zu demütigen und zu reinigen. So sollte der Geist trainiert und auf die geistliche Dimension ausgerichtet werden. Doch wo die Wüstenväter schon ein schwieriges Verhältnis zu einer üppigen Mahlzeit hatten, sahen sie den Wein mit seiner ambivalenten kulturhistorischen Bedeutung erst recht kritisch. Entsprechend urteilt der Altvater Poimen: „Der Wein ist überhaupt nicht für Mönche“ (vgl. Vitae Patrum, 5,4,31).
Freilich, selbst für die meisten Mönche stellen die Anforderungen an einen ägyptischen Wüstenvater eine Überforderung dar. Im Laufe der Zeit gründete man gegen die Einsamkeit in der Wüste Gemeinschaften, die strengen Fastenregeln wurden dort abgemildert.
In der Benedikts-Regel wird dieser Mittelweg zwischen Askese und Milde gegenüber dem Wein fortgesetzt: Im 40. Kapitel wiederholt Benedikt das Verdikt des Wüstenvaters über den Wein und stellt es als besonders gottgefällig heraus. Doch er ist Realist. Und so fährt er fort: „Weil sich aber die Mönche in unserer Zeit davon nicht überzeugen lassen, sollten wir uns wenigstens dahin verständigen, nicht bis zur Sättigung zu trinken, sondern uns zurückzuhalten.“ Das Maß an Zurückhaltung sieht Benedikt bei maximal einem Hemina Wein erreicht, zwischen einem viertel und einem halben Liter. Georg Holzherr kommentiert in seiner Erläuterung der Benediktsregel von 2007, der Mönchsvater übe Zurückhaltung angesichts des jeweiligen persönlichen Empfindens des Mönches und lasse den Mitgliedern seines Klosters, was diesen Freude bereitet.
Es zeigt sich: Selbst die christliche Askese, obwohl sie den Alkohol besonders kritisch sieht, gönnt den „Athleten Christi“ ihren Wein, solange es in Maßen geschieht. Dann können auch wir ohne schlechtes Gewissen mal ein Gläschen trinken.