Wieso die Gesellschaft Religion braucht
Osnabrück/Jena - Die Gesellschaft braucht die Religion, so der Soziologe und Politikwissenschaftler Hartmut Rosa. Sie könne helfen, dem "Aggressionsmodus" in der Politik und dem "permanenten Steigerungszwang" in der Gesellschaft etwas entgegenzusetzen, sagte Rosa den Zeitungen der Verlagsgruppe Bistumspresse in Osnabrück.
"Die Religion stellt dem eine andere Haltung gegenüber. Eine Haltung, die sagt: Ich will nicht einfach nur mein Interesse durchsetzen, sondern ich will, dass etwas Gemeinsames entsteht", so der in Jena lehrende Professor. Kürzlich veröffentlichte Rosa ein Buch mit dem Titel "Demokratie braucht Religion".
Der Experte kritisierte, viele Politiker wollten sich nicht mehr vom Argument der Opposition erreichen lassen. "Sondern sie warten nur darauf, ihre Gegner bloßstellen oder fertigmachen zu können." Für die Gesellschaft gelte: "Wir müssen uns immer mehr steigern, immer besser und immer schneller werden." Viele Menschen lebten auch gegenüber sich selbst in einer Art Kriegszustand und wollten beispielsweise immer schöner und fitter werden. "Dieser permanente Steigerungszwang zieht sich durch alle gesellschaftlichen Bereiche, und er macht unser Verhältnis zur Welt und auch zu uns selbst aggressiv."
Rosa erklärte: "Religion erinnert uns daran, dass eine andere Beziehung zur Welt möglich ist." Wer in eine Kirche gehe, habe beispielsweise keine To-do-Liste im Kopf, sondern wolle sich von etwas erreichen lassen. Auch habe Religion ein anderes Konzept von Zeit. So sei das Kirchenjahr seit 2.000 Jahren immer gleich. "Das ist genau der Punkt. Keine Innovation, keine Steigerung, kein Wachstum!" (KNA)