Rheinischer Karneval, Brotkultur und kirchliche Bräuche
Manches ist weltbekannt: die Passionsspiele in Oberammergau zum Beispiel oder auch die deutsche Brotkultur. Aber wer könnte erklärten, was die Heiligenstädter Palmsonntagsprozession so besonders macht? Wer achtet auf die Vergoldung von Kirchenmalereien oder war schon einmal beim Pfingsttanz in Mansfelder Grund-Helbra? Alle diese Kulturformen haben eines gemeinsam: Sie stehen im bundesweiten Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes.
In diesem Jahr feiert die UNESCO ein Doppeljubiläum. 2003 verabschiedete die Weltkulturorganisation das Übereinkommen zur Erhaltung des immateriellen Kulturerbes; inzwischen sind der Konvention mehr als 180 Staaten beigetreten. Deutschland ist erst seit 2013 dabei, also seit zehn Jahren. Für den 2. März haben die Länder eine Jubiläumstagung in Düsseldorf geplant - als Auftaktveranstaltung für das Festjahr. Die Idee, neben berühmten Welterbestätten wie dem Kölner Dom, der Wartburg oder dem Kloster Corvey auch immaterielle kulturelle Traditionen zu würdigen, kommt aus dem asiatischen Raum.
Nicht-dingliche Ausdrucksformen von Kultur würdigen
Sowohl in Afrika als auch in vielen Ländern Asiens spielten Bauten eine geringere Rolle als hierzulande, erklärt der Vizepräsident der Deutschen Unesco-Kommission, Christoph Wulf. Der Vorsitzende des Fachkomitees Immaterielles Kulturerbe war an der Erarbeitung der entsprechenden Konvention beteiligt und erinnert sich, dass der Vorschlag in der internationalen Gemeinschaft rasch auf Gegenliebe stieß.
Das Ziel ist, nicht-dingliche Ausdrucksformen der Kultur zu würdigen und ihren Erhalt zu fördern. Nicht nur Althergebrachtes kann immaterielles Kulturerbe der Menschheit werden. Bekannte Traditionen auf der weltweiten Unesco-Liste sind Tango und Yoga, die Peking-Oper und das Kunsthandwerk des japanischen Büttenpapiers Washi.
Ziel ist es laut UNESCO aber auch, Abseitigeres einem breiten Publikum zugänglich zu machen. Dass 2016 die hiesigen Poetry Slams aufgenommen wurden, sieht Wulf als Signal für die Zukunft. „In den urbanen Zentren verändert sich das Leben sehr schnell.“ Daher gelte es abzuwägen, welche Ausdrucksformen in die Liste aufgenommen werden sollen. „Entscheidend ist die Qualität, die für eine Gruppe mit einer bestimmten kulturellen Aktivität verbunden ist - möglicherweise auch nur für eine kleine Gruppe.“ Denn das immaterielle Kulturerbe lebt davon, dass Menschen es mit Leben erfüllen: beispielsweise die Millionen, die Freude an so unterschiedlichen Dingen wie dem Rheinischen Karneval, dem Blaudruck oder auch dem Singen in Chören haben. „Diese verschiedenen kulturellen Praktiken sprechen ganz unterschiedliche Menschen an“, sagt Wulf. Damit verbunden seien auch Chancen für die Integration. In diesem Bereich rechnet der Experte mit Verschiebungen: Bislang würden kulturelle Praktiken von Migrantengruppen in Deutschland kaum vorgeschlagen, obwohl sie auch hier für eine wachsende Zahl von Menschen eine wichtige Rolle spielten.
Offenheit für kulturelle Praktiken
Das Verzeichnis müsse sich eine Offenheit für unterschiedliche kulturelle Praktiken erhalten, betont Wulf. Das hätten bereits jüngste Entscheidungen gezeigt: Während es über die Aufnahme von Orgelbau und Orgelmusik im Jahr 2018 kaum Debatten gegeben habe, sei über den Modernen Tanz lange diskutiert worden. Im vergangenen November wurde er schließlich in die deutsche Liste aufgenommen. Angesichts von Tendenzen zur Vereinheitlichung im Zeitalter der Globalisierung soll die Förderung kultureller Vielfalt so einen gewissen Ausgleich schaffen.