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Junge Perspektive
Im Gespräch
Donnerstag, 20. Oktober 2022
Ein Gespräch mit Stephanie Rieth

„Ich empfinde zwei Berufungen“

Stephanie Rieth (* 1975) arbeitet seit dem Ende ihres Theologiestudiums für das Bistum Mainz. Sie ist verheiratet und Mutter von drei Kindern.

Seit dem 15. April 2022 ist sie die Bevollmächtigte des Generalvikars.

Sie sind die erste und bislang einzige Bevollmächtigte eines Generalvikars in Deutschland. Was können wir uns darunter vorstellen?

Stephanie Rieth

Der Generalvikar und die Bevollmächtigte nehmen die Verantwortung für die Verwaltung des Bistums gemeinsam wahr. Wir bilden also eine Art Doppelspitze.

Das ist in der katholischen Kirche eine sehr ungewohnte Position, wie kam es dazu, dass Sie Ihnen angeboten wurde?

Stephanie Rieth

Das hat sich langsam entwickelt. Seit 1999 arbeite ich im Bistum Mainz; nach meiner Ausbildung zur Pastoralreferentin in ganz verschiedenen pastoralen Einsatzfeldern, mit einer Pause von 2007 bis 2011, als ich in Elternzeit war. 2015 ist der damalige Regens Dr. Udo Markus Bentz zum Weihbischof geweiht worden. Das war ein guter Anlass für ihn, seine Aufgaben als Regens zu überdenken und er war damals schon überzeugt, dass es gut ist, die Verantwortung für die Ausbildung der Priesteramtskandidaten und der angehenden Pastoralreferenten und -referentinnen nicht alleine wahrzunehmen. Ich habe mich gerne für diese Aufgabe bereit erklärt und konnte so gemeinsam mit ihm das Prinzip gemeinsam wahrgenommener Verantwortung erproben.

 

Weihbischof Bentz ist dann 2017 Generalvikar geworden. Ich habe noch als Ausbildungsreferentin mit seinem Nachfolger als Regens in bewährter Weise weitergearbeitet. Als 2019 die Stelle des Referenten des Generalvikars frei wurde, hat Weihbischof Bentz mir diese Stelle angeboten.

 

Wir arbeiten also seit längerer Zeit zusammen. Da ist viel gegenseitiges Vertrauen gewachsen. Ich nehme gerne Verantwortung wahr. Auch in meiner Rolle als Referentin des Generalvikars habe ich nicht nur zugearbeitet, sondern hatte die Möglichkeit mit großer Eigenverantwortung in bestimmte Aufgaben hineinzugehen. Das ist ja immer eine Frage, was ich mir selbst zutraue und was andere einem zutrauen und auch zulassen. Ich habe gespürt, dass der Generalvikar solche Eigenverantwortlichkeit sehr unterstützt und fördert. Unsere Arbeitsweise wurde mehr und mehr ein „gemeinsames Verantworten“. Das entspricht ja auch unsrer Vision des Pastoralen Weges im Bistum Mainz inspiriert von unserem Bistumspatron, dem Heiligen Martin: Leben teilen, Glauben teilen, Ressourcen teilen und auch: Verantwortung teilen.

 

Also haben wir in den vergangenen eineinhalb Jahren überlegt: Wie kann man das in eine Struktur einfassen, die kirchenrechtlich fundiert ist. Am Ende wurde die Stelle des/der Bevollmächtigten des Generalvikars geschaffen.

Sehen Sie diese Konstellation als Ausnahmeerscheinung oder als Vorbild?

Stephanie Rieth

Dieses Amt ist nicht nur auf meine Person hin geschaffen. Es ist aus der grundsätzlichen Überzeugung entstanden, an der Leitungsspitze des Bistums Verantwortung zu teilen. Dabei wird dem Amt des Generalvikars nichts genommen. Er bevollmächtigt und kann auch über den Umfang der Bevollmächtigung entscheiden. Das ist die kirchenrechtliche Grundlage. Dennoch ist dieses Amt als Strukturprinzip in unserer Bistumsarchitektur fest verankert und kann damit auch künftig nicht einfach so umgangen werden. Ein Vier-Augen-Prinzip in unserem Dienst ist möglich und nützlich. Die größte Herausforderung ist dabei die Verzahnung: Wie gewährleisten wir, dass der Generalvikar mich in seine Schwerpunkte einbindet und ich ihn in meine. Das versuchen wir zum Beispiel ganz praktisch auch darüber zu lösen, dass wir für E-Mails ein gemeinsames Funktionspostfach nutzen, in das wir beide reinschauen. So kann grundsätzlich jeder alles wahrnehmen. Natürlich braucht es dazu noch Dienstgespräche. Da geht es auch um die Frage: Welche Dinge möchte ich aus meinem Schwerpunkt nicht alleine entscheiden? Und es gibt auch Reibungsflächen; es braucht deswegen die Fähigkeit, sich sachlich mit der Meinung des anderen auseinanderzusetzen und Entscheidungen zu treffen, die dann auch gemeinsam vertreten werden.

 

Wir hoffen, dass wir Vorbilder für gelingende Zusammenarbeit sein können. Das Bistum Mainz durchläuft gerade einen Prozess der Strukturveränderung geleitet von pastoralen Grundsätzen. Aus über 300 Pfarreien wurden 46 Pastoralräume geschaffen. Wir sind überzeugt, dass auch in diesen neuen Strukturen Verantwortung gemeinsam übernommen werden muss.

 

Es ist ein Gewöhnungsprozess, den wir alle einüben müssen. Es ist Pionierarbeit; da gibt es auch Blessuren. Ich will mir deshalb auch eine gewisse innere Distanz bewahren sowohl zu denen, die diese Entwicklung besorgt oder mit Ablehnung wahrnehmen, als auch zu denen, denen die Entwicklung nicht weit genug geht. Allgemein wird das Modell aber überwiegend positiv aufgenommen.

Sie haben schon zuvor im Bistum gearbeitet, zunächst als Pastoralreferentin, dann in der Ausbildung des pastoralen Personals, schließlich als Referentin des Generalvikars. Wie hat sich Ihre Arbeit durch die neue Stelle verändert?

Stephanie Rieth

Als erstes ist die Arbeitslast angestiegen, schon rein zeitlich. Ich verlasse selten pünktlich das Büro.

 

Der positive Aspekt ist natürlich, Wirksamkeit zu erleben, Gestaltungsspielräume zu haben und diese zu nutzen. Meine Meinung, Einschätzung und Entscheidung ist gefragt und werden ab einem bestimmten Punkt auch nicht mehr hinterfragt.

 

Es gibt aber auch die weniger schöne Seite. Die Arbeit wird nie fertig, egal, wie lange ich am Schreibtisch sitze. Einige Vorgänge sind am Ende des Arbeitstages nicht abgeschlossen, ich nehme sie gedanklich mit nach Hause. In der Regel arbeite ich am Wochenende wenigstens einen Tag, weil es aufgrund der Fülle unter der Woche nicht schaffbar ist; und weil man in einigen Themen auch etwas länger darüber nachdenken möchte, um sich eine Meinung zu bilden.

Wenn Sie die Arbeit mit in den Feierabend und ins Wochenende nehmen müssen, greift das nicht nur in Ihr Leben ein, sondern auch in das Ihrer Familie. Wie gehen Ihr Mann und Ihre Kinder damit um?

Stephanie Rieth

Das ist ein kritischer Punkt. Meine Familie steht oft hinten an. Das ist eine Erfahrung, die wir alle gemeinsam machen mussten. Das erlebt man im Tun; und dann muss man es sich eingestehen; und irgendwann kommt die Frage auf: Wollen wir das so weitermachen. In diesem Prozess verändert sich die Vorstellung von Familie und Rollenkonstellationen. Mein Mann und ich sind als Ehepaar 2002 ja mal anders angetreten. Wobei wir schon vorher andere Modelle erprobt haben:

 

Als 2004 unsere erste Tochter geboren wurde, habe ich als Religionslehrerin und Schulseelsorgerin gearbeitet. Mein Mann war damals selbstständig; wir hatten ein Haus gebaut; meine Stelle war in dieser Situation das zuverlässigere Einkommen; also habe ich weitergearbeitet; mein Mann ist bei unserer kleinen Tochter geblieben und hat seine Arbeit drum herum organisiert.

 

Die Frage, wie will ich Mutter sein, hat sich so schon früh gestellt. 2007 kam unser Sohn auf die Welt. Das war der Zeitpunkt für mich zu sagen: Ich möchte auch die Erfahrung von Elternzeit zuhause machen. Mein Mann hat parallel dazu das Angebot einer Festanstellung bekommen. Ich habe die Zeit sehr genossen, erst mit unserem Sohn, 2009 kam unsere jüngste Tochter dazu. Seit 2011 konnte auch die Jüngste die Kindertagesstätte besuchen. Seitdem habe ich wieder gearbeitet, zunächst mit reduzierter Stundenzahl.

 

Heute habe ich viel Verantwortung im Bistum, das verlangt viel Zeit und Einsatz, gleichzeitig macht mir die Arbeit großen Spaß. Diese Entwicklung ist herausfordernd, nicht nur in organisatorischer sondern auch in emotionaler Hinsicht und das gilt auch für die Beziehung zwischen meinem Mann und mir.

 

Auch meine Kinder mussten dazu lernen: etwa, dass ich an bestimmten Punkten nicht verfügbar bin, wo nach einem herkömmlichen Rollenverständnis eine Mutter verfügbar sein sollte. Die Beziehung zu Kindern verändert sich natürlich laufend, etwa in der Pubertät. Und da gilt es gut zu schauen: Was hängt eher damit zusammen; und was liegt daran, dass meine Arbeit so raumgreifend ist. Daraus entsteht wieder eine Aufgabe: Für diese Fragestellungen Raum schaffen und Raum lassen.

 

Ich gebe zu: Das bereitet mir oft ein schlechtes Gewissen. Aber ich empfinde zwei Berufungen: mit Blick auf meine Familie und auf meine Aufgaben im Bistum.

Sie sind jemand, der reflektiert auf die Frage von Geschlecht und familiärer Rolle schaut. Was meinen Sie, würden die gleichen Fragen, die Sie sich stellen, von einem Mann anders beantwortet werden?

Stephanie Rieth

Ich weiß, dass Männer sich diese Fragen auch stellen. Männliche Mitarbeiter sagen mir: Frau Rieth, ich habe damals den und den Fehler gemacht mit meiner Familie; passen Sie auf, dass Sie den nicht auch machen. Ich glaube, es gibt viele Männer, die traditionelle Rollenbilder aufgebrochen und neue Wege für sich gesucht haben.

 

Dennoch glaube ich, dass Frauen noch mehr erklären müssen, wieso sie sich auf die berufliche Entwicklung konzentrieren und die Familie hintenanstehen muss; Männer wiederum müssen meistens noch begründen, wieso sie statt Karriere lieber eine Elternzeit machen.

 

Aber: Ich glaube nach wie vor, dass es Aufgaben gibt, die spezifisch Müttern und spezifisch Vätern zugewachsen sind – ohne das aber kategorisch festlegen zu wollen. Mütter haben vielleicht oft eine größere Nähe zu emotionalen Fragestellungen und mehr Verantwortung, diese mitzuentwickeln; sowohl bei Töchtern, als auch bei Söhnen. Väter sind oft eher dafür zuständig, das Hinausgehende zu fördern; sie üben mit den Kindern ein, sich zu positionieren und an Grenzen zu gehen.

Wie verändert sich gerade das familiäre Rollenmodell, das Kirche hat?

Stephanie Rieth

Ich habe den Eindruck, dass die Rollenbilder in der Kirche gerade zwischen den Extremen schwanken; es pendelt zwischen Maria 1.0 und Maria 2.0. Es muss uns wieder gelingen, eine Mitte zu finden. Da haben wir noch einen weiten Weg vor uns. Wir müssen weg von dem einen Familienbild. Aber wir brauchen auch eine Klarheit über das, was wir aus christlicher Perspektive für unverzichtbar halten. Das dürfen wir aber nicht zu eng fassen, sodass wir Menschen ausschließen. Entscheidend für Familien ist, dass in ihnen der Raum ist, dass Menschen in hoher Achtsamkeit füreinander und in Verlässlichkeit das Leben gestalten können. Ich wünsche mir aber auch, dass wir als Kirche einen realistischen Umgang mit Scheitern entwickeln.

Wie finden Sie zwischen diesen Anforderungen von Familie und Beruf noch Zeit für sich selbst?

Stephanie Rieth

Man selbst kommt zu kurz, das ist sicher so. Mein Glaube und meine Spiritualität helfen mir dabei, wenn ich mich fragen lasse: Welchen Raum gebe ich dem Leben, mich zu beschenken. Diese Frage fällt leider häufig erst zum Schluss an. Ob ich mich mit Freunden treffen möchte, ob ich Exerzitien mache etc., das muss in meiner speziellen Situation von der Arbeitszeit genommen werden, das darf nicht zu Lasten der Familie gehen.

 

Mir ist die hl. Teresa von Avila eine Vertraute geworden mit ihrem Gebet „Herr der Töpfe und Pfannen“. Das ist eines, das mir zutiefst entspricht. Und zwar nicht nur in Bezug auf die Töpfe und Pfannen, sondern auch auf all die Aufgaben, die meinen Alltag bestimmen und manchmal keine Zeit für anderes lassen. Diese ganz alltägliche Spiritualität versuche ich mir ganz bewusst zu bewahren.

Fotos

Header-Bild:  hghb (pixabay)

Stephanie Rieth: Bistum Mainz

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