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Junge Perspektive
Donnerstag, 1. Juni 2023
Interkulturalität in der Familie braucht Kompromisse

Familienleben ist kein Tauziehen

„Duschen. Rafael liebt es, mehrmals am Tag zu duschen.“ Emira muss nicht lange überlegen, was sie zuerst irritierte, als sie ihren Mann Rafael näher kennenlernte. „Ja, das ist mir auch spontan eingefallen“, stimmt ihr Rafael zu.

Schon beim Gesprächüber diese Kleinigkeit wird eine Grundhaltung von Emira und Rafael deutlich: Es wäre ein Leichtes, sich mit kleinen Sticheleien zu necken. Doch Unterschiede werden erstmal nicht kritisiert; stattdessen gehen sie ihnen mit neugierigem Blick auf den Grund.

So erklärt Emira, dass Rafaels häufiges Duschen ganz normal ist: er stamme aus Brasilien, und in dem feucht-heißen Klima sei es eine echte Notwendigkeit.

„Und das machen alle Brasilianer so, egal ob sie am Nordpol oder in Brasilien leben“, grinst Emira. Sie stammt aus Bosnien. Nach ihrem Architekturstudium blieb sie zunächst für die Arbeit in Deutschland. Auch bei Rafael entwickelte sich aus der Fortbildung, auf die ihn seine brasilianische Firma schickte, ein längerer Arbeitseinsatz in der deutschen Niederlassung; und schließlich wurde Deutschland zur neuen Heimat.

Vor 8 Jahren lernten sich die beiden kennen, wurden ein Paar, heirateten und nun spielt der zweijährige Leon mit seinem Feuerwehrauto zwischen den beiden.

In der Küche wird es konkret

In der Küche zeigt sich nicht nur beim Essen die Vielfalt: „Bei euch in Brasilien bewahrt man Essensreste eher selten auf“, bemerkt Emira und erläutert direkt: „In Brasilien hat es ja auch nie Krieg gegeben, so wie bei uns in Bosnien. Da passt man schon auf, dass man die Dinge verbraucht, sei es beim Abendessen oder einem Rezept am nächsten Tag.“

Diesmal grinst Rafael und erwidert: „Und manchmal hebt ihr dann noch so ’nen winzigen Schluck Milch auf, mit dem man nicht mal mehr den Kaffee weiß bekommt.“ „Stimmt“, bestätigt ihn Emira und lächelt, „aber wir würden ihn trotzdem sinnvoll verwenden.“

Da ist sie wieder: Diese typische Mischung aus einem lockeren, humorvollen Verständnis füreinander und die Suche nach dem Sinn, den das „komische“ Verhalten für den anderen hat. Dabei hilft ihnen, dass Offenheit, Herzlichkeit und Nähe sowohl die bosnische als auch die brasilianische Kultur prägen.

Festtraditionen gemeinsam entwickeln

Einen größeren Unterschied gilt es bei den Feiertagen zu überbrücken: Rafael ist christlich- katholisch geprägt aufgewachsen, Emira im liberalen bosnischen Islam.

Ihr Sohn Leon lernt daher verschiedene Festtraditionen kennen, wie Emira betont: „Wir wollen schon, das er weiß, welche Traditionen von der mütterlichen Seite kommen, welche von der väterlichen; und er soll natürlich auch die deutschen Traditionen kennenlernen. Denn hier wächst er auf.“

„Wir versuchen Kompromisse zu finden“, ergänzt Rafael. „Vor drei Jahren haben wir zum Beispiel unseren ersten Weihnachtsbaum aufgestellt. Für mich war das eine Kleinigkeit, aber für Emira war es der erste Weihnachtsbaum ihres Lebens.“

„Und ich finde das richtig schön – die Weihnachtsstimmung ist auf jeden Fall ein Gewinn“, freut sich Emira.

Einen Spießbraten auf dem Weihnachtsmarkt würde Emira aber nicht für Leon kaufen: „Ich selbst esse kein Schweinefleisch, und ich kann das auch Leon nicht geben. Das ist so tief drin, das geht für mich einfach nicht.“

Rafael respektiert das: „Ich möchte da nicht provozieren, wir essen zuhause kein Schwein. Aber ich bin mir sicher, dass Leon in der Schule Schweinefleisch probieren wird. Dann müssen wir gemeinsam entscheiden, wie wir damit zuhause umgehen. Und er wird entscheiden, ob er Schweinefleisch isst oder eben nicht.“

Mehrere Kulturen und Sprachen

In der Zwischenzeit hat Leon die Feuerwehr gegen die Fernbedienung getauscht. Emira und Rafael geben ihr Bestes, um ihn davon zu überzeugen, dass das Feuerwehrauto interessanter ist.

Dabei klingeln einem erstmal die Ohren: Rafael spricht portugiesisch mit Leon, Emira bosnisch. Leon hat keine Probleme, die beiden zu verstehen, auch wenn beide gleichzeitig sprechen. Er antwortet vor allem auf Deutsch und Bosnisch.

„Ja, das sind schon manchmal die Momente, wo ich so denke: schade. Leon spricht viel mehr Bosnisch als Portugiesisch“, erklärt Rafael dabei. „Und das ist ganz klar, Emira verbringt mehr Zeit mit ihm. Ich bin nicht direkt traurig, es ist viel mehr ein Ansporn für mich, auch viel Zeit mit ihm zu verbringen. Und es lohnt sich. Leon versteht auch auf Portugiesisch alles. Aber er antwortet auf Deutsch, denn es ist seine stärkere Sprache. Gerade in Bezug auf Leon geht es auch nicht darum, ihn auf die eine oder die andere Seite zu ziehen.“

Und Emira ergänzt: „Das geht auch nicht. Wenn man in einer Ehe– und gerade auch in so einer interkulturellen Ehe, lebt – dann muss man von Anfang an für Kompromisse bereit sein, sonst würde das nicht funktionieren. Klar, man könnte das Eigene durchboxen. Aber will ich die Kultur meines Mannes, seine familiäre Geschichte unterbinden, damit ich meine durchbekomme? Das will ich auch nicht für mich.“

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