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Junge Perspektive
Dienstag, 23. August 2022

Das Geheimnis für unbeschwerten Kaffee-Genuss

„Lass uns mal einen Kaffee trinken gehen.“ Überall hört man diesen Satz; auf dem Land und in der Stadt. Das kann zum Mitnehmen sein oder im Café. Das kann der glutenfreie Latte Macchiato sein oder ein Kännchen. Kaffee begleitet uns überall. Die Deutschen lieben ihren Kaffee. Aber: Der günstige Massen- Kaffee ist Gift für die Öko- und Sozialsysteme der Produktionsländer; da hilft auch der mitgebrachte Becher für unterwegs wenig. Freilich: Wenn die Deutschen über kaum ein Lebensmittel so intensiv mit der Welt verflochten sind, dann können sie auch über kaum ein Lebensmittel so einfach einen positiven Einfluss auf die Welt nehmen.

Geprägt von Oligopolen

Kaffee wird heute in über 50 Ländern mit tropischem Klima angebaut. Dabei entfallen auf die zehn wichtigsten Produktionsländer wie Brasilien, Vietnam und Kolumbien 80 Prozent der Erträge. Jährlich werden ca. zehn Millionen Tonnen Rohkaffee produziert. Kaffee ist, nach Erdöl, das zweitwichtigste Handelsgut aus den Entwicklungsländern.

So wie wenige Länder bei der Produktion dominieren, so ist auch der Markt in Deutschland aufgeteilt: Er wird von sechs Marken beherrscht, 80 Prozent des Kaffees wird von ihnen vertrieben; bekannt sind etwa Tchibo oder Jacobs.

Und damit ist auch schon ein entscheidendes Problem beschrieben: Kaffee ist eine industrielle Massenware geworden. Damit wird er für viele erschwinglich. Im Durchschnitt kostet ein Pfund Kaffee vier Euro in Deutschland. Das deckt aber kaum die Herstellungskosten. Dieser Preis kann daher nur erreicht werden, indem die ganze Produktionskette auf maximale Effektivität getrimmt und die Kosten gedrückt werden. Das hat viele Konsequenzen.

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Die ursprüngliche Kaffee-Bohne ist eine zunächst grüne, dann rötliche Frucht

Anfällige Hochleistungssorten

So wird fast die gesamte Welternte aus nur drei Hochleistungssorten gewonnen: Arabica; Canephora, auch Robusta genannt; und Liberica. Das birgt Risiken. Denn diese Varietäten bringen zwar die größten Erträge. Aber sie sind auch sehr anfällig. Schädlinge können so leicht riesige Ernten vernichten. Deswegen müssen diese Sorten mit Insektiziden und anderen Giften behandelt werden, um sie zu schützen.

Zudem: Durch die Dominanz weniger Sorten entsteht maximale Vergleichbarkeit. Dadurch kann der Markt den Preis drücken. Denn wie viel Kaffee kostet, das wird an den großen Kaffeebörsen in New York und London ausgemacht. Zwischen den Erzeugern und dem Verbraucher liegt so ein System, dass Lebensmittel wie Aktien behandelt, mit teils erheblichen Preisschwankungen ohne Bezug zur Ware selbst. Der so zusammengekaufte Kaffee wird zu anonymen Mischungen verarbeitet.

Der Preisdruck wird nach unten weitergegeben. Vor zwei Generationen reichte eine LKW-Ladung Rohkaffee in Lateinamerika noch aus, um einen Lastwagen zu finanzieren. Heute bekommt man dafür noch eine Tankfüllung und ein paar Jeans.

Die Kaffeebauern können damit ihre Arbeiter nicht mehr angemessen bezahlen. Das treibt die Menschen aus dem Sektor. El Salvador hat 40.000 Arbeitsplätze im Kaffeesektor verloren, allein 2012. Viele dieser Arbeitskräfte suchen sodann ihr Heil im Norden und versuchen sich in die USA durchzuschlagen, in der Hoffnung auf ein neues Leben. So fördert der Kaffeemarkt die Fluchtbewegung auf dem amerikanischen Kontinent.

So ist ein System entstanden, das nicht nur die Menschen vor Ort und die Umwelt, sondern auch die internationalen Lieferketten bedroht.

Mehr Varietäten für mehr Gerechtigkeit

Ein Ausweg ist der Anbau von unterschiedlichen Kaffeesorten, die mit menschen- und naturfreundlichen Produktionsbedingungen einhergehen.

Gerade kleinere Landwirte in den Herstellerländern kennen noch unterschiedliche Kaffeevarietäten. Die bringen zwar nicht soviel Ertrag wie die Hochleistungssorten und haben unterschiedliche Ansprüche an die Pflege, verlangen also mehr Arbeitseinsatz. Aber sie sind dafür resistenter. Häufig werden für ihren Anbau keine Insektizide benötigt. Wo es statt riesiger Monokulturen abwechslungsreiche Bepflanzungen gibt, werden die Böden zudem weniger ausgelaugt. Und wenn sich das Klima ändert, sind manche, bislang kaum bekannte Kaffee- Sorten aufgrund ihrer Umweltbedürfnisse im Vorteil.

Unterschiedliche Varietäten versprechen zudem den Herstellern einen Ausweg aus dem ruinösen Preiskampf. Denn dadurch werden sie als Produzenten erkennbar. Hochwertige Kaffee-Varietäten, möglichst über den Direkthandel oder über zertifizierte Zwischenhändler, bringen höhere Gewinne in den Anbaugebieten, die dadurch bessere Qualität erzeugen können. Zudem wird dadurch ein anderes Problem gelöst: Immer weniger junge Menschen in den Entwicklungsländern wollen die harte Arbeit für Billig- Kaffee auf sich nehmen, der kaum ihre Familien ernährt. Hochwertige Landwirtschaft mit möglichst selbst-kontrollierten Vertriebsnetzwerken hingegen kann noch junge Menschen für das Thema Kaffee-Anbau begeistern.

Luxusgut oder Massenware?

Freilich: Sein Charakter als Massenware ermöglicht es, dass Kaffee von vielen Menschen zu erschwinglichen Preisen erworben werden kann. Damit ist er ein Gleichmacher und bietet die Chance, dass viele von den Vorteilen der Globalisierung profitieren können. Das war mal anders:

Begonnen hat der Kaffee-Anbau vermutlich in Äthiopien, in der Region Kaffa. Von dort wurde er von Händlern wohl im 14. Jahrhundert nach Arabien gebracht. Ab dem 17. Jahrhundert wurde er dann von den europäischen Kolonialherren nach Europa eingeführt. Es waren auch die europäischen Seemächte, die den Kaffee nach Amerika brachten. Damals war er noch ein Luxusgut. Mit der Erweiterung der Anbauflächen, größerer Effektivität beim Transport und der industriellen Verarbeitung sank der Preis immer weiter und Kaffee wurde für immer mehr Menschen erschwinglich – vor allem in Europa. Denn in den Hersteller-Ländern wird er deutlich weniger getrunken.

Doch: Nicht alle sind auf billig Kaffee angewiesen. Wer es sich leisten kann und möchte, der bewirkt mit dem richtigen Kauf viel.

Eine Denk-Option: Begreifen wir Kaffee als komplexes Nahrungs- und Genussmittel, ähnlich etwa wie Wein. Wie dort könnten dann die Packungen beschriftet werden mit Informationen, die relevant sind für den Geschmack: Die Farm, das Feld, die Höhe der angebauten Varietät, das Erntejahr. Auch Kriterien wie der Säuregehalt können angegeben werden, sodass Kategorien entstehen, ähnlich wie trocken und lieblich beim Wein.

Damit wird Kaffeegenuss für diejenigen, die es sich manchmal oder auch öfter leisten können und möchten, wieder zu etwas Besonderem: Statt vom Einheits- Kaffee der Massenmarken lassen sie sich von unbekannten Aromen verzaubern. Genuss, Umwelt, Menschenwürde. Alles zusammen.