Zuversichtlich leben
„An den Grenzen der Hoffnung“ – so hat die israelische Friedensaktivistin Roni Keidar ihre Autobiographie überschrieben. Keidar setzt sich seit Jahrzehnten für den Frieden im Heiligen Land ein. Angesichts der offensichtlichen Erfolglosigkeit kann die Frage erlaubt sein, warum die Frau nicht verzweifelt. Doch nicht nur angesichts der Konflikte im Nahen Osten oder des Krieges in der Ukraine kann sich Hoffnungslosigkeit breitmachen. In der Klimakrise kommt die Menschheit scheinbar keinen Schritt voran – seit Jahrzehnten. Statt weniger wird immer mehr CO2 in die Atmosphäre ausgestoßen. Und in vielen entwickelten Ländern des Westens scheint die Spaltung der Gesellschaft unaufhaltbar zuzunehmen – insbesondere in den USA, die immer noch eine Führungsrolle innehaben.
Kein Wachstum ist bislang auch keine Lösung
Die modernen Wirtschafts- und Sozialstrukturen beruhen laut dem Soziologen Harmut Rosa auf dem Prinzip der „dynamischen Stabilisierung“. Das zeigt sich etwa auf dem Feld der Wirtschaft. Deutschland steigt ab, weil die Wirtschaft nicht schnell genug wächst. Dabei könnte man doch meinen, wenn die Wirtschaft nicht schrumpft, müsste das reichen. Weit gefehlt. Permanentes Wachstum, möglichst viel davon, ist laut Rosa notwendig, um die Gesellschaft stabil zu halten. Sonst brechen Verteilungskämpfe aus und Ängste dominieren das politische und gesellschaftliche Klima.
Das lässt sich z. B. im demografischen Wandel verdeutlichen. Wenn immer weniger Menschen in Arbeit immer mehr alte Menschen ohne Arbeit finanzieren müssen, dann ist das nur möglich, wenn die Arbeitsproduktivität permanent steigt. Denn nur wenn mehr Wohlstand erzeugt wird, kann auch mehr Wohlstand verteilt werden. Und mehr Wohlstand muss verteilt werden, um nicht eine der beiden Seiten über Gebühr zu belasten. Daher kann sich die Gesellschaft auch nicht entschließen, weniger oder nicht mehr zu wachsen. Der Hass, mit dem mitunter die Demonstranten von Fridays for Future oder die Aktivisten der Letzten Generation verfolgt werden, mag sich auch daraus speisen: der Angst, wenn wir nicht weiterwachsen, dann werden wir von dem Abgrund verschlungen, der hinter uns immer näher kommt.
Um diesem Abgrund zu entkommen, bohren die Menschen immer tiefer in der Erde, um an Ressourcen zu gelangen; und mit neuem Nachdruck wird die Frage diskutiert, wie lange Menschen arbeiten sollten, um den Wohlstand noch irgend erhalten zu können.
Den Kindern soll es nicht schlechter gehen
Natürlich ist es nicht schlecht, wenn der Drang nach Wohlstand weiteren hervorbringt. Er hat die erfolgreichste Gesellschaft der Menschheitsgeschichte hervorgebracht. Bei aller Kritik: Niemand möchte wieder im frühen 19. Jahrhundert leben, mit hoher Kindersterblichkeit, frühem Tod, Kerzenschein und einer Erziehung, in der Kinder und Mägde fast zu Tode geprügelt werden durften.
Und selbst außerhalb des entwickelten Westens leben die Menschen fast überall besser als vor 200 Jahren. Das westliche, kapitalistische und wissenschaftliche System ist daher verheißungsvoll, solange die Menschen die Hoffnung haben, für eine bessere Zukunft zu arbeiten. Es gilt das Prinzip: Meinen Kindern soll es mal besser gehen als mir. Dieses Prinzip hat sich bei vielen jungen Eltern in der westlichen Gesellschaft verändert. Die Stimmung ist nun: Wir müssen alles tun, damit es unseren Kindern nicht schlechter geht als uns.
Die Angst, die dahintersteht, ist durch Hoffnungslosigkeit geprägt. Denn der Psychologe Martin Seligman begreift Hoffnung als Charaktereigenschaft, durch die jemand psychologische Ressourcen gewinnt, um negative Ereignisse als vorübergehend, veränderbar und kurzfristig anzusehen – und damit ihre Veränderung angehen kann. Wenn ich mich aber verzweifelt abmühe, damit es nur nicht schlechter wird, dann fehlt diese Hoffnung.
Theologie, die Hoffnung schafft
Wenn Hoffnung so wichtig ist, aus welchen Quellen können die Menschen sie schöpfen? Der evangelische Theologe Jürgen Moltmann beantwortete diese Frage schon 1964 in seiner „Theologie der Hoffnung“. In seinem gleichnamigen Buch skizzierte er das Bild eines Gottes, der entschieden auf der Seite der Armen steht.
Die in der Bibel immer wieder ausgesprochene Verheißung „Ich will euch eine Zukunft und eine Hoffnung geben.“ (Jeremia 29,11) gilt laut Moltmann in erster Linie den Verfolgten und Unterdrückten. Ihnen stellt sich Jesus als Gekreuzigter zur Seite. Und sie erfahren in der Auferstehung die Hoffnung auf eine Welt, die nicht von Unrecht und Gewalt geprägt ist. Aus dieser Perspektive kann der Gläubige Mut schöpfen, um die Welt zu verändern. Durch diesen Mut wird die christliche Hoffnung nicht ins Jenseits verlegt. Vielmehr ist sie realistisch. Zwar weiß der Christ um den Zustand der Welt, der erlösungsbedürftig ist; doch weiß er auch: Das Reich Gottes kann in seinem Glauben und Handeln schon in der Gegenwart präsent werden.
Diese Perspektive bringt der französische Dichter Charles Peguy auf den Punkt: „Die Hoffnung sieht das, was noch nicht ist und sein wird. Sie liebt das, was nicht ist und was sein wird. In der Zukunft der Zeit und der Ewigkeit.“ („Das Tor zum Geheimnis der Hoffnung“, 1911)
Die Hoffnung sieht das, was noch nicht ist und sein wird
Eine christliche Hoffnung kann – in der Sprache moderner Coaches – als Glaubenssatz verstanden werden. Glaubenssätze sind nach Birgit Eberle unsere tiefsten und innersten Überzeugungen, die unser Verhalten prägen. Die christliche Hoffnung, laut der der Gläubige in der Gegenwart des Reiches Gottes lebt, schützt den Gläubigen davor, sich im Angesicht von Krisen der Verzweiflung zu überlassen – stattdessen verhält er sich so, als sei das Reich Gottes schon angebrochen – was zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung wird. Paul Watzlawick bringt das in seinem Buch „Anleitung zum Unglücklichsein“ auf den Punkt: „Die Prophezeiung des Ereignisses wird zum Ereignis der Prophezeiung.“
Die Kraft der Prophezeiung ruht auf der grundlegenden Fähigkeit des Menschen auf, Geschichten über sich selbst und die Welt zu erzählen. Für Samira El Ouassil und Friedemann Karig ist dieses Erzählvermögen die Eigenschaft, die uns von allen anderen Tieren unterscheidet und die uns daher zu erzählenden Affen macht, wie sie ihr einschlägiges Buch genannt haben. Laut den beiden Autoren ist der Mensch nicht in der Lage, sich die Welt nicht in Geschichten vorzustellen. Wie sich der Mensch Geschichten erzählt, ist daher zentral für die Konstruktion seiner Wirklichkeit. Der Kern aller Geschichten ist es, eine stimmige Selbsterzählung zu entwickeln und sie zu pflegen. Diese Selbsterzählung hat dabei auch einen zeitlichen Charakter. Sie verbindet die Gegenwart mit der Zukunft. Eine hoffnungsvolle Erzählung hat daher drei Dimensionen: Sie prognostiziert ein positives Geschehen in die Zukunft und von dieser Zukunft her erscheint die Gegenwart heller und wirkt die Vergangenheit stimmiger.
Die christliche Hoffnung bietet daher die Chance auf eine Selbst- und Welterzählung. Denn sie lehrt im Licht der Offenbarung die Welt und sich selbst zu verstehen. In einer solchen Perspektive werden wir nicht mehr vom Abgrund verschlungen, sondern gehen heute einer freudvollen Zukunft entgegen.