Verseucht, versauert, leergefischt
Von Zeit zu Zeit tauchen sie in den Nachrichten auf: Bilder von endlosen Küstenlinien, die von schwarzer Schlacke verseucht werden, von Fischen, die in der dunklen Brühe ersticken, und von Vögeln, deren Federn von Öl triefen und sie nicht mehr fliegen lassen.
Anthropozän
Als Anthropozän bezeichnet man das aktuelle Erdzeitalter, in dem menschliches Handeln die Erde tiefgreifend verändert. Diese Einflüsse, wie industrielle Produktion, Ressourcenverbrauch, Urbanisierung und Umweltverschmutzung, verändern natürliche Prozesse und das Klima. Der Begriff stammt aus dem Griechischen und bedeutet „Zeitalter des Menschen“.
Vergiftet durch Öl
Eine der größten Katastrophen dieser Art ereignete sich 2010 im Golf von Mexiko. Große Mengen Methan traten aus dem Bohrloch aus, durch das die Bohrplattform „Deepwater Horizon“ Öl aus der Erde pumpte. Das Methan explodierte, die Plattform brannte aus, und durch das geborstene Bohrloch strömten ungehindert ca. 800 Millionen Liter Rohöl ins Meer. Es dauerte 87 Tage, bis das Loch geschlossen werden konnte.
Der dadurch entstandene Ölteppich breitete sich bis zu den Küsten der US-Bundesstaaten Louisiana, Mississippi, Alabama und Florida aus. Um den Ölteppich zu bekämpfen, wurde das Öl abgebrannt. Dadurch kam es zu einer erheblichen Luftverschmutzung. Nicht brennbare Anteile des Öls gelangten in die Nahrungskette. Doch der größte Teil des Öls war nicht sichtbar. Durch den Einsatz von Chemikalien wurden ca. 80 Prozent unter die Wasseroberfläche gedrückt. Welchen Einfluss die eingesetzten Chemikalien haben, ist bis heute umstritten. Seit der Katastrophe hat der verantwortliche Ölkonzern BP 19 Milliarden zur Schadensbegleichung gezahlt.
Nun sind es nicht nur die Unfälle, bei denen der Mensch seine Fähigkeit zur Kontrolle der Technik überschätzt, die zu großen Naturkatastrophen führen. Fast das gesamte Verhalten der Menschheit kann als Unfall für die Natur betrachtet werden.
Versauert durch Kohlendioxid
Denn nicht nur Öl und Chemikalien gelangen in die Ozeane, sondern auch CO₂. Etwa ein Drittel des ausgestoßenen Kohlendioxids wird von ihnen aufgenommen, zum einen in Form von Biomasse. Kleinste Meereslebewesen, das Phytoplankton, nehmen im Wasser gelöstes Kohlendioxid in sich auf. Es wird – wie bei den Pflanzen an Land – in kohlenstoffreiche Biomasse umgewandelt. Wenn diese gefressen wird, wandert der darin enthaltene Kohlenstoff die Nahrungskette entlang. Ein kleiner Teil der Ausscheidungen und der toten Lebewesen sinkt auf den Meeresgrund und lagert sich dort ab. Dadurch wird der Kohlenstoff im Boden gebunden.
Doch auch dieser Kohlenstoff belastet zunehmend die Ozeane. Schuld sind Grundschleppnetze, mit denen Schollen oder Garnelen gefischt werden. Die zum Teil mit Brettern und Gewichten beschwerten Netze wühlen den Meeresgrund auf und setzen damit auch den dort gebundenen Kohlenstoff frei, was den CO₂-Anteil in den Ozeanen erhöht. Laut Thorsten Reusch vom Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel setzt „die Grundschleppnetzfischerei etwa so viel CO₂ frei wie die Flugindustrie“.
Weiteres CO₂ aus der Atmosphäre wird direkt im Wasser gelöst. Dadurch erhöht sich aber der Anteil von Wasserstoff-Ionen im Ozean, wodurch der pH-Wert des Meerwassers sinkt – eine Versauerung ist die Folge. Dadurch greift das Wasser beispielsweise die kalkige Schutzhülle von Muscheln und Korallen an. Damit fallen diese Meeresbewohner nicht nur als Schadstofffilter, sondern auch als Futter für andere Lebewesen aus.
Laut einem Bericht des Weltklimarates von 2019 könnten schon bei einer Erwärmung um 2 Grad fast alle Warmwasser-Korallen verschwinden. Die sauren Meere sind auch für das Plankton ein Problem. Laut Forschern können die winzigen Algen umso weniger Eisen aufnehmen, je niedriger der pH-Wert des Wassers ist. Eisen benötigen sie jedoch für das Wachstum. Das Plankton wiederum bildet die Nahrung für die winzigen Krillkrebse, von denen sich viele Fisch- und Walarten ernähren.
Tödliches warmes Wasser
Viele Tiere könnten aber nicht nur verhungern, sondern auch ersticken. Denn die Temperatur im Wasser wirkt sich auf den Sauerstoffgehalt aus: Kühleres Wasser kann mehr Sauerstoff aufnehmen. Erwärmen sich die Meere, steht den Fischen dort also weniger Sauerstoff zur Verfügung. Die Wassertemperaturen in der Nordsee sind etwa in den vergangenen vierzig Jahren um 1,13 Grad Celsius angestiegen. Der prognostizierte Temperaturanstieg in der Nordsee könnte in den kommenden Jahrzehnten bei 1,6 bis 3 Grad Celsius liegen, in Küstennähe sogar bei 3 bis 3,9 Grad Celsius.
So verändern sich die weltweiten Populationen. Jede Art ist für ihr Überleben auf ein bestimmtes Temperaturfenster angewiesen. Laut einem Forschungsbericht aus dem Jahr 2016 sind Plankton, Quallen, Schildkröten und Seevögel schon zehn Breitengrade in Richtung der kühleren Pole gewandert. In tropischen Regionen ist laut den Autoren der Studie ein Rückgang der Fischbestände zu erwarten.
In einer Prognose, die ein Forscherteam in der Fachzeitschrift Global Change Biology vorstellte, könnten bei hohen Treibhausgasemissionen die tropischen Meere für 88 Prozent der dort lebenden Tierarten bis 2100 unbewohnbar werden. Bei niedrigen Emissionen sind es acht Prozent, bei mittleren 24 Prozent.
Überfischung
Überfischung bedeutet, dass der Mensch mehr Tiere dem Meer entnimmt, als der Bestand regenerieren kann. Laut einer Studie der Food and Agriculture Organization of the United Nations von 2022 gilt für 60 Prozent aller Fischarten, dass die Fangquoten für diese Arten nicht höher liegen dürfen, weil sonst Überfischung droht.
Subventionierte Überfischung
Hinzu kommt noch, dass auch der Mensch Fisch als Nahrung aus dem Meer entnimmt – und damit die Bestände zunehmend bedroht. 2020 wurden rund 90 Millionen Tonnen Fisch gefangen. Dieser Wert ist in den vergangenen 40 Jahren relativ stabil geblieben. Dass die Menge des gefangenen Fisches gleich bleibt, verwundert, denn die Methoden werden immer ausgefeilter: 3D-Sonargeräte, Satellitennavigation und Radar orten Fischschwärme auch in den entlegensten Winkeln. Dass die Menge nicht steigt, ist daher ein Hinweis auf Überfischung.
An der Fischerei lässt sich auch ein gesellschaftliches Problem der Umweltzerstörung eindrücklich zeigen: Subventionen, die umweltschädliche Anreize setzen. Schätzungen zufolge subventionieren die Staaten Fischereien weltweit mit 14 bis 35 Milliarden US-Dollar. Das sind etwa 35 Prozent der Kosten dieses Sektors. Damit werden viele Betriebe am Leben gehalten, die sonst schon vom Markt verschwunden wären, darunter auch viele Hochseefischereien. Deren Schiffe sind schwimmende Fabriken, wo der Fang gefangen, zerteilt und vorverarbeitet wird. Und das tun sie nicht nur vor den Küsten der Industriestaaten, von denen die Unternehmen subventioniert werden, sondern auch im globalen Süden. Damit werden auch noch die Lebensgrundlagen der lokalen Kleinfischer zerstört.
Es ist ein Zirkel, wie er für die Klima- und Umweltpolitik typisch ist: Die hochtechnisierten Nationen des Globalen Nordens stützen mit Subventionen klima- und umweltschädliche Projekte, die auf dem ganzen Erdball Zerstörungen anrichten. Zuerst bedrohen sie damit die Lebensgrundlagen der Menschen im Globalen Süden und dann ihre eigenen.
Der Mensch hat sich im eigenen Netz verfangen
Und wie häufig scheinen Lösungen nicht möglich. Dabei scheint es in diesem Fall einfach: Die großen Player, die EU, die USA und einige asiatische Staaten wie China, Japan und Südkorea streichen Subventionen für die Fischerei. Komplett. Damit würden viele Unternehmen vom Markt verschwinden, die Menge des gefangenen Fisches würde sinken. Das zudem eingesparte Geld könnte in den Schutz der Bestände vor illegaler Fischerei investiert werden.
Doch dafür gibt es keinen Konsens. Zum einen, weil damit der Fischpreis steigen würde: wegen der geringeren Menge, die verfügbar wäre; und weil diese Menge teurer gefangen werden muss. In Staaten wie Japan, in denen Fisch ein Grundnahrungsmittel ist, würde sich das beträchtlich auf die Lebensmittelpreise auswirken. Zudem belauern sich die Staaten gegenseitig. Denn wenn nur einer die Subventionen zurückfährt, dann stoßen die Flotten der anderen Staaten in die freigewordenen Räume vor. Die Nationen trauen sich nicht – auch aufgrund der illegalen Fischerei, die von einigen Staaten geduldet wird. So bleibt alles beim Alten. Der Mensch hat sich selbst eine bessere Falle gestellt als jedem Fisch.