Sechs Wochen auf dem Camino
Pilgern gehört seit seiner Kindheit zum Leben von Ulrich Schäfersküpper. „Früher sind wir aus dem Ruhrgebiet regelmäßig nach Kevelaer gepilgert oder nach Neviges. Später war ich sechsmal in Lourdes.“ Aber 900 Kilometer auf dem Jakobsweg nach Santiago de Compostela, das ist auch für erfahrene Pilger eine Herausforderung: „Ich war der Erste hier in der Gegend, der diese Strecke an einem Stück gepilgert ist“, so Schäfersküpper.
So kam die erste Idee, den Jakobsweg zu gehen, aus dem Fernsehen: „In den 90er Jahren habe ich einen Film über den Camino gesehen und mir gedacht: Das müsstest du auch mal machen.“ Doch dann dauerte es noch einige Jahre. Für den langen Camino muss man ca. sechs Wochen einplanen. Schäfersküpper ist Altenpfleger. Eine so lange freie Zeit ist in diesem Beruf schwer zu erreichen. Zum Anlass wurde ein Stellenwechsel: Sein Arbeitgeber suchte Leute, die von der Lang- in die Kurzzeitpflege wechseln wollten. Schäfersküpper stellte dafür eine Bedingung: Er bekommt so lange frei, dass er den Camino pilgern kann – am Stück.
Das hat geklappt. So ging er 2004 von Saint-Jean-Pied-de-Port in Südfrankreich los.
Die Muschel – der Beweis
Wenn vom Jakobsweg die Rede ist, dann meint man in der Regel die letzten 900 Kilometer. Die meisten Menschen pilgern von Südfrankreich aus durch den Norden Spaniens, von Roncesvalles über León und Burgos nach Santiago. Das war der Weg, der für die Pilger aus dem größten Teil Europas am nächsten lag. Denn: Eigentlich beginnt der Camino nicht in Südfrankreich, sondern vor der eigenen Haustür. Bis nach Polen und Ungarn hinein gibt es daher ausgewiesene Camino-Routen, die mit der Pilgermuschel gekennzeichnet sind.
Seine Muschel hält Schäfersküpper in die Höhe. „Eigentlich ist die Muschel der Beweis, dass man in Santiago war“, erklärt er. Denn dort wurde sie den Pilgern früher ausgehändigt, sodass man sie auf der Rückreise dabei hatte. Denn den Camino gingen die Pilger früher zweimal: hin und zurück. Santiago war nicht das Ende, sondern der Mittelpunkt der Reise. Das ist heute anders: Die meisten Menschen fliegen wieder heim oder reisen per Bus oder Bahn ab.
Schäfersküpper wurde von seiner Frau abgeholt. „Ich habe meinen Mann zunächst gar nicht wiedererkannt“, erzählt Isabella Schäfersküpper. „Mit meinem Bruder fuhr ich von Essen nach Santiago, mit dem Auto. Und da stand ich vor der Kathedrale und sah aus der Ferne einen etwas stämmigeren Mann auf einer Bank sitzen, der Ähnlichkeiten mit meinem Mann hatte. Das war er aber nicht. Mein Mann saß daneben – und hatte 25 Kilo abgenommen.“
Auf dem Camino ist das Gehpensum straff. „Ich habe 20 bis 25 Kilometer jeden Tag geschafft“, versichert Schäfersküpper. Also hat er 33 Tage für den Weg von fast 900 Kilometern gebraucht. Und das in Nordspanien, wo die Temperaturen deutlich wärmer sind als in Deutschland.
Alle 20 Minuten trinken
So verließ Schäfersküpper zwischen sechs und halb sieben Uhr morgens die Albergue. Die Albergues sind die Unterkünfte, die den Pilgern einen Schlafplatz in einem großen Mehrbettzimmer und ein Bad anbieten. Aber nicht mehr. „Frühstück gab es in den meisten Albergues nicht“, erklärt Schäfersküpper. Stattdessen hatte er vier Wasserflaschen dabei, die er regelmäßig an den Quellen am Wegesrand aufgefüllt hat. Alle 20 Minuten hat er einen Schluck aus den Flaschen genommen. „Da haben mich viele für belächelt. Die meisten von denen haben später Probleme bekommen, die ich nicht hatte“, bemerkt er. Am frühen Nachmittag war er meistens in der nächsten Albergue.
Dann hieß es erstmal: Wäsche waschen. „Ich hatte zwei Garnituren dabei. Die eine hatte ich an, die andere war im Rucksack“, so Schäfersküpper. Also wurde die eine Garnitur gleich in der Albergue gewaschen, sie musste ja noch trocknen. Dann hat er sich etwas zu Essen gesucht. In vielen Orten auf der Route bekommt man in Restaurants ein „Pilgermenü“: drei Gänge für damals vier bis fünf Euro.
Eine Art Kommunion
Überhaupt seien die Spanier sehr großzügig, als Pilger sei man etwas Besonderes. Da kann es schon mal passieren, dass am Wegesrand eine Frau Pfannkuchen verteilt, gratis, aber nicht umsonst. Denn die Frau nimmt den Pilger im Gebet mit nach Santiago.
Das Gebet hatte für Schäfersküpper einen hohen Stellenwert. „Es beginnt alles mit dem Gebet. Man muss den Tag Gott schenken.“
Der Camino ist Schäfersküpper so wichtig, dass er ihn dreimal gegangen ist: 2004 und 2007 die große Strecke, 2005 mit seiner Frau 100 Kilometer. 2007 ließ er sich von seinem Plan auch nicht von Knieschmerzen abhalten. Obwohl er am Anfang hoch dosierte Schmerzmittel nahm. Aber: Die sind in den ersten Tagen verschwunden bzw. er konnte sie besser ertragen. Dank dem Gebet. „Ich hab mir gedacht: Jesus, dich haben so viele beleidigt. Ich trage diese Schmerzen für die, die sich nicht entschuldigt haben.“
20 Jahre ist sein erster Camino schon her, damals war Schäfersküpper Anfang 50. Dennoch: „Ich überlege, den Camino nochmal zu laufen, vielleicht schon dieses Jahr.“