Welche Freude dürfen wir erhoffen?
Es gibt Dinge, die lassen sich nur in Bildern, Gleichnissen und Kunstwerken ausdrücken. Die ersten und letzten Dinge des Lebens gehören sicherlich dazu.
Vom ersten Augenblick unseres Lebens an sind viele Künstlerhände am Werk, die uns formen und uns Gestalt geben. Manches mag gelingen, manches nicht - wird gar verpfuscht. Wir aber tragen in uns die Hoffnung, dass am Ende Gott selber Hand anlegen und sein Kunstwerk vollenden wird.
Eine der ausdrucksstärksten Schöpfungen des Michelangelo ist seine Skulptur des „Erwachenden Sklaven“. Sie zeigt einen liegenden menschlichen Körper, der aus einem Steinblock herauswächst. Teile des Körpers haben sich bereits freigeschafft, der übrige Teil ist noch im Stein gefangen. Der Körper liegt in „Wehen“, windet und dreht sich, um ganz aus diesem Stein in vollendeter Gestalt hervorzugehen. Dieses unvollendete Kunstwerk hat mich zu einem Gedicht inspiriert:
Liegend in Wehen
winden und drehen
da schaffen sich frei
menschliche Glieder
Was im Stein gefangen
behauen verhangen
geht hervor als Wesen
Wie groß doch die Qual
welch Potential
versklavt an einen
Block aus Marmorstein
Solch Kunstwerk ruiniert
unsere Ungeduld
das Zerren und Strampeln
sich befreien wollen
zur beseelten Gestalt
Wer es dennoch schafft
aus eigener Kraft
so ein Meisterstück
wisse
Ein Kunstwerk zerfällt
und mit ihm
die Künstlerhände
Nur wenige Bilder vermögen es, die Dramatik menschlichen Lebens so plastisch darzustellen wie Michelangelos Skulptur. So lesen wir bei Paulus in Röm 8,22f.: „Denn wir wissen, dass die gesamte Schöpfung bis zum heutigen Tag seufzt und in Geburtswehen liegt. Aber auch wir, obwohl wir als Erstlingsgabe den Geist haben, seufzen in unserem Herzen und warten darauf, dass wir mit der Erlösung unseres Leibes als Söhne (und Töchter) offenbar werden“.
Zum ewigen Leben berufen
Wir Christen haben unsere eigene Sichtweise auf ein ewiges Leben bei Gott. Da noch niemand von hier nach dort hinübergegangen und mit froher Kunde wieder zurückgekehrt ist, haben wir keine anschauliche Kenntnis von den „himmlischen Wohnungen“, die uns verheißen sind.
Es liegt also einzig an Gott, den Schleier zu heben und den Blick freizugeben auf das himmlische Reich und die ewigen Freuden. Wir nennen das die „Selbstoffenbarung Gottes“: Gott gibt sein Geheimnis den Menschen preis. So erscheint er dem Mose im Zeichen des brennenden Dornbuschs und gibt sich ihm als der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs zu erkennen (Ex 3,15f.).
Wie Gott einst Moses einen Namen „für alle Generationen“ mitteilte: „Ich bin, der Ich bin“ (Ex 3,14; Joh 17,3.6.12),so teilt der Sohn Gottes, der in die Welt kommen soll, sich uns mit: „Ich bin die Auferstehung und das Leben“ (Joh 11,25).
Wir Menschen haben eine begrenzte Vorstellungskraft. Wir können nur aufgrund bereits gemachter Erfahrungen über die Zukunft nachdenken. Im Zusammenhang mit dem Glauben an ein ewiges Leben neigt der Mensch dazu, anzunehmen, dass die Auferstehung in gewisser Weise eine Fortsetzung dessen ist, was wir bereits hier im Leben vorfinden. Jesus fordert unsere Vorstellungen heraus.
Die kommende neue Welt, lehrt er, ist überhaupt nicht wie die alte Welt. Sie ist keine Fortsetzung des Lebens, wie wir es kennen. „Seht, ich mache alles neu“, erschallt die Stimme vom Himmel (Offb 21,5).So gibt es zwei Arten von Leben: wiederbelebtes Leben und auferstandenes Leben. Wird jemandem sein früheres Leben zurückgegeben, sprechen wir von einer Wiederbelebung, wie das bei einem klinisch toten und ins Leben zurückgebrachten Patienten der Fall ist. Auferwecktes Leben hingegen bezeichnet ein radikal neues Leben.
Vergleichen wir etwa die sogenannte Auferweckung des Lazarus (die in Wirklichkeit eine Wiederbelebung ist) mit der Auferstehung Jesu, stellen wir fest, dass Lazarus in sein altes Leben zurückkehrt, aus dem heraus er wieder sterben muss, während Jesus sein altes Leben nicht zurückbekommt, sondern ein neues, reicheres Leben empfängt, in dem er nicht wieder sterben muss.
Nichts mehr wird so sein, wie es einmal war. Wir werden alle auf eine völlig neue und kraftvolle Art und Weise miteinander in Beziehung treten. Der ganze Himmel und die Erde stehen kurz davor, neu erschaffen zu werden. Das Reich Gottes ist nahe. Das ist das Evangelium von Jesus.
In diesem Leben bleiben alle Symphonien unvollendet
Es gibt ein Leben vor dem Tod
„In diesem Leben bleiben alle Symphonien unvollendet.“ Dieser Satz von Karl Rahner bringt das zum Ausdruck, was für uns Menschen eine Quelle ständiger Unruhe ist: Alles, was uns im Leben umgibt und womit wir umgehen, ist letztlich unvollkommen.
Das spüren wir täglich: Unsere Gesundheit ist anfällig; unser Beruf ist nicht genau das, was wir uns erträumten; der Ort, an dem wir wohnen, scheint langweilig im Vergleich zu vielen anderen Orten; die Beziehungen, in denen wir leben – in der Ehe, in der Familie oder am Arbeitsplatz –sind nicht immer erfüllend und oft genug möchten wir aus unserer Haut fahren, wenn das Leben zu eng geworden ist. Es quält uns schon, dass vieles in unserem Alltagsleben zu klein geraten ist. Wir leben so, als warteten wir ständig auf etwas oder jemanden: Ereignisse und Personen, die eine große Wende in unserem Leben herbeiführen, damit wir endlich das Leben beginnen können, das wir uns erträumen. Sind unsere Ansprüche an das Leben zu hoch, oder sind wir undankbar? Sind wir zu gierig, um mit diesem Leben zufrieden zu sein?
„In diesem Leben bleiben alle Symphonien unvollendet“ – und doch sind wir für das Vollkommene, für die Unendlichkeit geschaffen.
Unser Herz, unser Verstand, unsere Seele– alles in uns drängt nach Erfüllung und Ewigkeit. Kein Wunder, dass wir auf dieser Seite der Ewigkeit immer unruhig bleiben werden. Nichts auf dieser Erde vermag die Leere in uns zu füllen, die dadurch entsteht, dass wir ständig über unsere irdischen Begrenzungen hinausdrängen.
Jesus rührt mit seiner Botschaft an die Unsterblichkeit unserer Seelen. Er möchte das ewige Licht in uns lebendig erhalten. Wir aber schaffen uns in unserer Ungeduld Ersatzbefriedigungen und richten uns auf Erden so ein, als wäre das irdische Leben die Endstation unserer Sehnsüchte. Jesu Aufruf zur Umkehr aber ist keine Schelte. Er weiß um unsere Trauer darüber, dass wir einmal sterben werden, ohne dass sich unsere Träume und tiefsten Wünsche erfüllt haben. Die Liste der „unvollendeten Symphonien“ ist lang und die Trauer darüber ist menschlich. Wer nun sein Kreuz auf sich nimmt, macht sich zum Träger eines Hoffnungszeichens, das über diese Welt hinausragt. Das Kreuz ist kein Zeichen der Verachtung menschlicher Unvollkommenheit, sondern ein Zeichen des Mitgefühls Gottes für uns Menschen, die wir „auf die Erfüllung unserer Hoffnungen“ warten.
Womit sollen wir das Reich Gottes vergleichen?
Jesus erläutert das Reich Gottes in bildhaften Vergleichen. Er spricht vom Senfkorn, das ein gewaltiges Entfaltungspotenzial in sich birgt; vom „Acker“ ist die Rede, den ein „Sämann“ bestellt; von einem „Licht“, das man auf den „Leuchter“ stellen und nicht verbergen solle. Besonders beliebt ist das Gleichnis vom „himmlischen Gastmahl“. Alles Bilder für Gott und sein Reich.
Angefangen von der Genesis, dem ersten Buch der Bibel, bis hin zur Offenbarung, dem letzten Buch des Neuen Testaments, wird das Bild vom Weinberg in den Heiligen Schriften über einhundert Mal gebraucht. Einst zierte der Weinberg den Eingang des Jerusalemer Tempels in goldfarbener Darstellung. Er war ein Zeichen von Wohlstand und die Summe all dessen, was den Gläubigen an himmlischer Belohnung erwartete. Die Vorstellung vom vollendeten Glück des Menschen beim Propheten Micha (4,4) drückt sich darin aus, „dass jeder unter seinem Weinstock sitzt“. Zugleich kommt es darauf an, hier und jetzt am Reich Gottes mitzubauen, als „Arbeiter im Weinberg“ – ein anderes Bild für das Gottesreich (vgl. Matthäus 20, 1-16a).Dadurch machen wir uns zu Mitarbeitern am Schöpfungswerk und haben so bereits im Diesseits Teilhabe an der Herrlichkeit Gottes.