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Freitag, 1. Dezember 2023

Mensch wird man nicht, Mensch ist man

"Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt“. Diese fundamentale Aussage haben die Mütter und Väter des Grundgesetzes in den ersten Artikel der Verfassung für die Bundesrepublik Deutschland geschrieben. Grundlage dafür war das Menschenbild der jüdisch-christlichen Tradition.

Der Mensch, die „Statue Gottes“

„Gott erschuf den Menschen als sein Bild, als Bild Gottes erschuf er ihn. Männlich und weiblich erschuf er sie“, so beschreibt die aktuellste Version der Einheitsübersetzung der Bibel in Gen 1,27 den Ursprung des Menschen. Was im Deutschen als „sein Bild“ übersetzt wird, heißt wörtlich im Hebräischen: „Statue Gottes“. Das meint eine Statue, wie sie oft in antiken Tempeln stand und die Gottheit repräsentierte, der der Tempel gewidmet war. In dieser Gottesstatue, so die damalige Auffassung, ist die Gottheit real und machtvoll gegenwärtig. Da im Judentum ein Bilderverbot herrscht, gab es im Tempel von Jerusalem wohl keine Gottesstatue. Bild Gottes, „Statue Gottes“ ist der lebendige Mensch. Denn für gläubige Juden stand fest, dass Gott nicht durch leblose Objekte aus Holz oder Stein vergegenwärtigt wird, sondern durch den Menschen, der von ihm geschaffen wurde.

Das christliche Bild vom Menschen

Die Grundannahme dieser Gottesebenbildlichkeit des Menschen hat das Christentum übernommen. Sie bildet die Basis der christlichen Lehre vom Menschen. Diese betrachtet den Menschen als den Höhepunkt der Schöpfung. In der Gottesebenbildlichkeit gründet die Würde des Menschen. Der Mensch, jeder einzelne, „ist nicht bloß etwas, sondern jemand“; er ist Person, macht der katholische Katechismus deutlich. Der Mensch ist das einzige Lebewesen, das über sich selbst nachdenken und über sein Leben selbstbestimmt verfügen kann. Jeder Mensch hat eine ihm eigene Würde und ist wertvoll. Diese Würde bedingt, dass menschliches Leben und Freiheit nicht einfach genommen werden darf. Gott allein ist Schöpfer, Bewahrer und Vollender des Lebens.

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Das bedeutet immer auch den guten und respektvollen Umgang mit dem Leib

Der Mensch ist für die Ewigkeit bestimmt

Nach christlicher Auffassung ist das Leben eines jeden Menschen nicht nur wertvoll, es ist heilig. Das gilt unabhängig davon, ob es ihm seitens anderer Menschen zuerkannt wird. Das Leben eines jeden Menschen ist demnach gleich viel wert, unabhängig von sozialem Status, wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit, Bildungsniveau, Hautfarbe, Aussehen, Geschlecht, Alter oder gesundheitlichem Zustand. Die „tiefste Begründung“ des Wertes und der Würde eines jeden „menschlichen Lebens liegt für den Christen im Glauben an Gott und an die Berufung zum ewigen Leben“, so der 2014 verstorbene Theologe Hans Rotter. Trotzdem darf das irdische Leben nicht missachtet werden. Der Mensch oll vielmehr seinen Leib als von Gott erschaffen und „zur Auferweckung am jüngsten Tag bestimmt“ betrachten, urteilt schon das II. Vatikanische Konzil. Das bedeutet immer auch den guten und respektvollen Umgang mit dem Leib.

Weihnachten und die Würde des Menschen

Eine eindrucksvolle Bestätigung erfährt die Würde des Menschen durch die Menschwerdung Jesu. Beginnend mit seiner Geburt über seine Predigt- und Wundertätigkeit bis zum Tod am Kreuz und seiner Auferstehung an Ostern wird nochmal deutlich, dass Gott den Menschen liebt. Mehr noch, der Mensch ist für die Teilhabe am Reich Gottes bestimmt. Diese Teilhabe ist die höchste Berufung des Menschen. Sie ist dem Menschen von seinem Beginn an in allen Phasen des Lebens gegeben. „Das bedeutet zugleich, dass die Ehrfurcht auch dem noch nicht entfalteten, dem beschädigten, dem zerbrochenen und vergehenden Leben geschuldet ist“, so der Moraltheologe Johannes Reiter (†2020).

Der Mensch ist mehr als die Summe seiner Gene. Er ist von Gott gewollt; dies gilt für jeden, auch für die mit Behinderungen oder Krankheiten geborenen Menschen. Das ist die feste Überzeugung christlicher Theologie. Sobald menschliches Leben gefährdet ist, muss Theologie und Kirche deshalb Stellung beziehen, auch wenn das oft in einer weitgehend säkularisierten Gesellschaft nur schwerverstanden oder gar abgelehnt wird. „Darum“, so Bischof Bätzing bei seiner Predigt zur Eröffnung der diesjährigen Herbstvollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz, „melden wir uns in den Debatten um eine staatliche Gesetzgebung zum assistierten Suizid und um eine geplante Änderung der gesetzlichen Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch. Und wir fordern in beiden Fällen eine ausgeglichene Balance zwischen der Selbstbestimmung und dem Lebensschutz, die beide durch unsere Verfassung der gesellschaftlichen Sorge überantwortet sind. Ungeborene Kinder im Mutterleib brauchen eine starke Lobby; es sind keine „Substanzen menschlichen Ursprungs“, wie eine geplante EU-Verordnung vereinnahmend meint.“

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Christen betrachten das menschliche Leben in all seinen Phasen als heilig und schützenswert

Der Beginn menschlichen Lebens

In dem, was Bischof Bätzing sagt, zeigt sich ein weiterer wichtiger Punkt. Es geht um die Frage nach dem Beginn des menschlichen Lebens und damit auch darum, ab wann es zu schützen sei. Diese Frage wurde im Laufe der Geschichte unterschiedlich beantwortet. Auch heute gehen die Meinungen weit auseinander. Biologisch betrachtet befindet sich in der befruchteten Eizelle bereits alles angelegt, zu dem sich der neue Mensch entwickeln kann. Mit der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle liegt bereits der genetische Code des individuellen Menschen vor. Alles, was den Menschen biologisch ausmacht, ist bereits enthalten, nichts muss mehr hinzukommen. Dabei der befruchteten Eizelle schon ein erstes „Erscheinen eines menschlichen Lebens“ vorliegt, muss es als Person anerkannt werden, um die Schutzwürdigkeit des Embryos vom frühsten Zeitpunkt an zu betonen, urteilt des halb die Glaubenskongregation.

Konsequenzen eines christlichen Menschenbildes

Diese Aussage hat weitreichende Folgen. Wenn menschliches Leben, und zwar jedes menschliche Leben zu jedem Zeitpunkt, als schützenswert und heilig betrachtet wird, kann es keinen Kompromiss und keine Halbherzigkeit bei seinem Schutz geben. Das gilt für den Beginn des Lebens genauso wie an seinem Ende und in jedem Stadium dazwischen. Von diesem Standpunkt aus äußert sich die Kirche zu Fragen der Abtreibung und der Tötung auf Verlangen eben sowie zu gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Fragestellungen. Wer dabei mit einer solch dezidierten Meinung auftritt, muss sich auch die Frage gefallen lassen, ob die Institution als Ganze oder einzelne führende Vertreter diesem Anspruch selber gerecht werden. Das ist zweifelsohne nicht einfach, aber alternativlos, denn es geht um nicht mehr und nicht weniger als die Würde des Menschen.

Fotos

Header: unsplah / getty images

Im Text: truthseeker08 (pixabay)